Oder wie wir uns wieder grillend in die Zivilisation zurückverwandeln
Hier stand ich, mit der Zange in der Hand, die glühende Kohle vor mir im Grill und lässig das Küchentuch über der linken Schulter liegend. Ich war der Grilleur vom Dienst. Die Gäste trafen langsam ein, der Tisch im Garten war gedeckt, die Flaschen entkorkt und meine Frau schien an meine Grillkompetenz zu zweifeln. So interpretierte ich ihre ständigen Blicke auf meinen Grill, der mit seinem Rauch unsere Nachbarhäuser poetisch umnebelte. Ab und zu hörte man heftiges Fensterschließen aber das löste bei mir nur noch mehr heftiges Kohlestöbern aus. Gelassen und mit Profiblick ruhte ich in mir als die ersten Herren der geladenen Gäste mich am Grill begrüßten und erste fachmännische Begutachtungen vom Rost vornahmen. Zuerst sprachen wir über Fußball und das neue Bauverordnungsgesetz bis dann die ersten Kommentare über die Kunst des Bratens auf offenem Feuer die Runde machten … „Diese Wurst musst Du wenden“, „Da hat es zu viel Glut“, „Das Fleisch hier hat genug“, „Willst Du nicht mal…“
„Stopp!“ Alle schwiegen und sahen mich an. Ich legte dem einen das Tuch über die Schulter, dem anderen drückte ich die Zange in die Hand: „Jungs, Ihr macht das prima, ich freue mich auf das Essen.“ Ich drehte mich um und ging zu den Damen am Tisch um mit ihnen mit dem Cüpli anzustoßen.
Es scheint sich die klischierte These zu bestätigen, dass archaische Grundinstinkte, die noch immer in uns aus der Steinzeit schlummern, je nach Situation auszubrechen drohen. Was müssen das für Zeiten gewesen sein, als die Männer sich auf die behaarte Brust hämmerten und ihren erlegten Dinosaurier in Stücke aufs Feuer warfen. Dem Weibchen zu zeigen, was man für ein potenter Ernährer ist, wird zum Beispiel beim Vogel namens Neuntöter schön deutlich. Das Männchen spießt Molche und Frösche auf einer Hecke auf, mit der Botschaft an das Weibchen: „Schau her, ich kann für Weib und Kind sorgen“.
Archaische Spurenelemente
Je moderner wir wurden, desto mehr kehrte das Grillen wieder in unsere Zivilisation. Auch nach dem Sommer endet die Grillsaison nie und nimmer. Auf den Balkonen stehen die komplexesten Geräte mit Namen wie „Performer Deluxe GBS Gourmet“ – laut einem Onlineanbieter – und werden im tiefsten Winter hochgefahren. Während die Damen drinnen das Prosecco-Glas erheben, stehen draußen die Kerle in der Kälte, vom Grillrauch eingelullt und klopfen sich gegenseitig auf die Schulter bei jeder erfolgreich gar gewordener Wurst.
Verstehen Sie mich bitte nicht miss, das hier ist keine Kritik noch Satire gegenüber den Spurenelementen der Männlichkeit aus vergangener Zeiten. Das ist doch gut so, nicht? Aber in solchen Momenten frage ich mich, ob eine perfekte Gleichstellung der Geschlechter mit all den edlen Absichten oft daran scheitert, die femininen und maskulinen Seiten der Menschheit völlig neutralisieren zu wollen. Bewege ich mich auf dünnem Eis mit diesem Thema? Wahrscheinlich schon.
Krawatte und Fett
Die Renaissance des Zubereitens auf offenem Feuer macht vielleicht auch das Bedürfnis sichtbar, wieder näher zur Natur zu rücken, zumal im Bereich der Kulinarik. Es scheint sich eine Lust auszubreiten, die Designerklamotten nach Feierabend in den Wäschekorb zu schmeißen, sich in T-Shirt und Shorts zu stürzen um ins Freie zu hechten um saftiges Fleisch aufs glühende Gitter zu legen. Der Rauch, das Brutzeln, das Zischen durch das ins Feuer triefende Fett, halb angesengte Finger beim Fleischwenden und alles andere ist ein heilendes Kontrastprogramm zur Karrierequal in der Teppich-Etage mit Krawatte, die die Kehle zuzuschnüren scheint. Eine Zuspitzung des natürlichen Erlebnisses könnte durch ein Joggen vor dem Grillen entstehen, denn im Schweiße des Angesichts lässt sich noch besser mit dem beißenden Rauch kämpfen.
Eine Grillwende?
Nur etwas irritiert: die Wende vom naturbelassenem Bräteln hin zur Hightech-Grill-Kultur. Eine Industrie tut sich immer mehr auf, die die Grilleure ob der schieren Vielfalt an technischen Raffinessen taumeln lässt. Da wären die Aluschalen, die das Fett auffangen oder die „dreiseitige Grillbürste“ für die „Reinigung der Rostzwischenräume und schwer zugänglicher Stellen an den Kanten der Grillfläche.“ Und weiter heißt es: „Die Prozellanemaillierung wird durch die langlebigen Edelstahlborsten nicht angegriffen.“ Im Katalog steht auch, dass sie über „einen ergonomischen Griff für eine komfortable Benutzung sowie einer Aufhängemöglichkeit aus Leder“ verfügen. Da wird das Polieren zum perfekten Vorspiel des Grillierens. Und damit wirklich der erste Funken springen kann, gibt es einen „Anzündkamin plus Zündwürfel“. Diese Angebote sind bei einem großen Grillzubehör-Anbieter online zu lesen, der sogar einen Help-Online-Service anbietet. Allerdings nur Montags bis Freitags von 8:00 bis 18:00 Uhr, also genau dann, wenn in der Regel selten grilliert wird. Und wenn mal Hilfe gebraucht werden sollte, dann bitte mit Angabe der Rechnungs- oder Kundennummer. Unsere Vorfahren in den dunklen Wäldern hätten sich ob so eines Services die Augen gerieben.
Wissenschaftler reden von Intervallen der Naturgesetze und von sich wiederholenden Phasen, beim Klima mit seinen Katastrophen. Ähnliches gelte auch in der Geschichte des Menschen, was Brauchtum und soziale Rituale angehe. Die Flucht aus der guten alten Küche in den Garten und auf die Terrasse mit Lattenrost und Feuer dreht sich langsam zur komplexen Kunst einer hochtechnologisierten Zubereitung von Wurst und Kotelett, am liebsten in der perfektionierten Ambiente umgeben von Schaltern und Displays.
Deshalb, liebe Leserin und lieber Leser, geben Sie Acht auf eine gute Pflege Ihrer Küche; wir landen bald wieder hier, in der wettergeschützten Schaltzentrale des Garens.
PS: Die erwähnten Grillprodukte und Katalogzitate entstammen einem Anbieter, dessen Namen wir aus werbetechnischen Gründen hier nicht nennen dürfen aber gerne schicken wir Ihnen auf E-Mail-Anfrage den Link.