„Theater, ein Fest des Augenblicks!“

Der bekannte Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart steht oft auf dem Dreh-Set und ebenso leidenschaftlich auf der Bühne. Nach der Tournee mit „Der Trafikant“ von Robert Seethaler, folgt nun die Umsetzung des Romans „Bajass“ von Flavio Steimann. Er erklärt, warum und wie er mit der cornabedingten Auftrittspause umgeht.

 

Urs Heinz Aerni: Ihre Umsetzung des Romans „Der Trafikant“ von Robert Seethalers heimste sehr viel Lob seitens Publikum und Kritik ein, und Auftritte stehen noch bevor. Nun bringen Sie den Roman von Flavio Steimann „Bajass“ auf die Bühne, der zwar weniger bekannt ist aber irgendwie eine atmosphärische Verwandtschaft zum „Trafikant“ zu haben scheint. Warum haben Sie sich für „Bajass“ entschieden?

Hanspeter Müller-Drossaart:  Als ich vor ein paar Jahren den Roman las, hat es mich schlichtweg umgehauen: Was für ein Stoff! Was für wunderbare atmosphärische Bilder! Eine berührende Kriminalgeschichte in eine großartige, ungemein elaborierte und kunstvolle Sprache gesetzt. Die von Buschi Luginbühl und mir am Radio SRF produzierte und erfolgreiche Hörspielfassung des Romans hat die Idee bekräftigt: „Bajass“ muss als nächstes Werk auf die Erzähltheater-Bühne!

Aerni: Während der „Trafikant“ sich kurz vor und während dem Zweiten Weltkrieg in der Weltstadt Wien abspielte, führen Sie nun mit „Bajass“ die Besucherinnen und Besucher in die Zeit von ca. 1910 in die ländliche Provinz der Schweiz. Wo lagen die Herausforderung-en für Sie bei der Sprachausarbeitung ohne den Wienerischen Sound?

Müller-Drossaart: Die größere Nähe meiner eigenen Identität zum helvetisch-bäuerlichen Wesen, galt es in der darstellerischen Ansiedlung sozusagen als Fundament zu setzen, um in der Reibung mit der gestalteten Sprache spannende Farben zu erreichen. Flavio Steimann setzt immer wieder ganz bewusst seltene, zeitbezogene Helvetismen ein, die uns in die Welten der Geschichte begleiten. Diese ausgeklügelten Sprachnoten fordern viel Übung in gedanklicher und artikulatorischer Geläufigkeit. Mund-und Hirn-Handwerk sozusagen.

Aerni: Was muss ein Text mitbringen, damit er von Ihnen auf die Bühne getragen wird?

Müller-Drossaart: Als erstes muss er mich überraschend am Leselust-Schlawittchen packen! Alsdann sollte der Stoff und die Personen bewegend und relevant sein und das Ganze in einer sinnlichen Sprache.

Aerni: Das aktuelle Stück ist ein Kriminalfall, in etwa auch in der Glauserischen Manier. Würden Sie dem zustimmen?

Müller-Drossaart:  Eindeutig! Wir verfolgen einen alternden Kriminalkommissar, einen „Menschenjäger und Fallensteller“ wie er sich selber beschreibt in seinem letzten Kriminalfall, wo er, wie der uns bekannte Wachtmeister Studer aus Friedrich Glausers Romanen mit einer analytischen aber auch menschlich-warmen Zugewandtheit zum schuldigen Täter eine eigene Vorstellung von Gerechtigkeit entwickelt.

Aerni: Das große Publikum kennt sie durch Filme wie „Grounding“, „Die Herbszeitlosen“ oder „Sennentuntschi“ oder durch TV-Serien wie „Bozen Krimi“. Was fasziniert Sie am reduzierten Spiel mit Text und Mimik auf der Kleinkunstbühne?

Müller-Drossaart:  Die unmittelbare Begegnung zwischen Sprache und Publikum! Die unaufwendige, karge Form des  Geschichten-Erzählens, wo die Bilder in den Köpfen der Zuhörenden und Zu-schauenden entstehen können- Jetzt im Moment, unverfälscht im analogen Spiel.

Aerni: Mittlerweile publizierten Sie als Autor zwei erfolgreiche Mundart-Lyrik-Bände. Wenn Sie ein Buch lesen, wie schnell geht es, dass Sie die passenden Stimmen dazu im Kopf hören?

Müller-Drossaart: Zuweilen, in besonders glückhaften Momenten reden die Figuren direkt aus den Sätzen heraus, springen auf die Zunge! Dieser schauspielerische Kern-Reflex ist sehr genussvoll und ermöglicht mir theatrale Polyphonien im Kopf! die ganze commedie humaine marschiert manchmal vor meinen Augen auf!

Aerni: Trotz digitalisierte Unterhaltungsindustrie scheint das Schauspiel auf der Bühne durch real existierende Menschen noch zu funktionieren. Warum?

Müller-Drossaart: Weil es jetzt im selben Raum im gemeinsamen Kontakt zwischen Künstlern und Publikum stattfindet und dadurch etwas Einmaliges zum Ausdruck kommt. Genau diese Menschen des Abends werden nie mehr so zusammenkommen! Theater ist, wenn’s gelingt eine Feier des Augenblicks!

Aerni: In welcher Gemütsverfassung sollte das Publikum Ihre aktuelle Aufführung besuchen kommen?

Müller-Drossaart: schaulustig, geschichtsgierig und verführungsbereit!

Aerni: Es wurden viele bis alle Kulturanlässe wegen Corona abgesagt. Wie gehen Sie damit um?

Müller-Drossaart: Ich versuche im Dialog mit den Veranstaltern unbedingt Verschiebedaten zu organisieren, was in vielen Fällen möglich ist, aber die aktuell leere Familienkassennot nicht erleichtert. Daneben erhöhe ich die Arbeit an weiteren Projekten, die ich später als selbständig tätiger Kunstschaffender anbieten kann. Es gibt viel zu tun.

Aerni:  Sie wirken auch als Schriftsteller, vielleicht eine Zukunft abseits der Bühne und des Films?

Müller-Drossaart: Glücklicherweise habe ich in den letzten Jahren bereits meine anderen «art-skills» erforscht und weiterentwickelt. Der Umgang mit Sprache und Inhalten kann in verschiedenen Medien stattfinden und das kreative Schreiben kommt mir sehr entgegen. Da der Spielraum Schweiz im weitesten Sinne gesehen, sehr klein ist, muss man als Schauspieler erfinderisch auch Grenzbereiche erforschen, um eine kontinuierliche Existenz zu finden.

Aerni:  Humor, Witz und Kabarett gehörten stets ins Programm Ihrer Schauspiel-Laufbahn. Können Sie etwas aus diesen Kompetenzen für die Realität des Lebens schöpfen?

Müller-Drossaart: Ja, gewiss! Humor in seiner ursprünglichen Bedeutung von «Lebenssaft» wird in der akuten Pandemiezeit plötzlich mehr als eine frivole Koketterie mit fernen, fiktiven Untergangsfabeln. Wir sind angehalten, unsere Werte zu befragen und aufs Wesentliche zurück zu finden. Der schwertriefenden moralische Entrüstung und Schuld-Menetekelei, die in diesen Tagen auch ihre verurteilenden Runden dreht, gilt es mit Verstand und ironisch befragender Distanz zu begegnen. Humor hilft uns, nicht in die Abgründe des Ausweglosen zu versinken. Witz, Geist nicht als Strafnebel, sondern als die konstruktive Kraft der Erkenntnis zur Lösung der Probleme.

Ein weiteres Interview mit Hanspeter Müller-Drossaart mit Ausschnitten des aktuellen Stückes ist auf dem Sender DIE REDAKTION zu sehen. Hier per Mausklick.

Über aktuelle Projekte von Hanspeter Müller-Drossaart erfahren Sie hier mehr: www.hanspeter-mueller-drossaart.com

 

Info: Hanspeter Müller-Drossaart, 1955 in Sarnen geboren, in Erstfeld aufgewachsen, war als Schauspieler am Schauspielhaus Zürich und dem Wiener Burgtheater tätig. Die Öffentlichkeit kennt Hanspeter Müller-Drossaart aus TV- und Film- Produktionen sowie auch als Vorleser bei Radio und Fernsehen («Literaturclub» SRF/3sat). Von ihm sind die beiden Gedichtbände «zittrigi fäkke» in Obwaldner Mundart und der Urner Lyrikband «gredi üüfe». Mit dem literarischen Bühnenstück «Bajass»  tourt er durch die ganze Schweiz.

 

 

 

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Das Unbehagen gegenüber dem Konservativen

Der Erzähler und Poet, Michael Fehr tourt mit dem Musiker Manuel Troller über die Bühnen. Wir stellten ihm Fragen zu seiner Arbeit am Text.

Urs Heinz Aerni: In Erinnerung an einen Auftritt von Ihnen in Leipzig, kommt mir die Formulierung in den Sinn, dass Sie den „Saal gerockt“ haben. Ein Kompliment oder eher…?

Michael Fehr: Doch, ein Kompliment. Es bedeutet jedenfalls, dass etwas geschehen ist, wonach es sich nicht einfach so einigermaßen befriedigt wieder davongehen ließ. Ich denke, dass heute gefährlicherweise zu viele befriedigende oder sogar total bedürfnisgerechte Anlässe durchgeführt werden. Ich halte es demgegenüber für umso wichtiger, sanft zu sein wie ein Lamm und auf die Pauke zu hauen wie der Teufel.

Aerni: Die Titel Ihrer Bücher heißen zum Beispiel „Glanz und Schatten“, „Kurz vor der Erlösung“ oder „Simeliberg“. Wie groß muss der Weltschmerz auf den berühmten Schultern drücken, bis wieder ein neues Projekt angegangen werden muss?

Fehr: Es kann vorkommen, dass Weltschmerz die Motivation für ein Werk ist. Meistens ist es aber das unerträgliche Unbehagen gegenüber allem Konservativen.

Aerni: Wie dürfen wir das verstehen?

Fehr: Ich möchte, dass die Dinge, die stillstehen oder erstarrt sind, in Bewegung geraten und die Dinge, die in Bewegung sind, in Bewegung bleiben. Denn nur Bewegung bringt uns weiter. Um jeden Preis sitzen bleiben und alles zusammenraffen, was man besitzt, bringt nur äußerst kurzlebigen Profit, aber keine echte Hilfe.

Aerni: Rhytmus ist ein wichtiger Teppich, auf dem Ihre Texte zum Tanzen kommen, so scheint es mir. Welche Gemütsart hilft am meisten, um weitermachen zu können oder zu wollen?

Fehr: Vertrauen.

Aerni: Sie treten zusammen mit dem Musiker Manuel Troller auf. Wie habt Ihr Euch gefunden?

Fehr: Wir wurden uns über längere Zeit gegenseitig empfohlen, und haben uns dann auch noch längere Zeit geziert, wonach ich dann doch einmal eine E-Mail geschrieben habe, um Kontakt aufzunehmen.

Aerni: Wie stellen Sie fest, dass ein Text, eine Performance nun stimmt und funktioniert?

Fehr: Ich möchte nicht mit definitiven Antworten bereitstehen, sondern zum Nachdenken anregend, inspirierend tätig sein. Wenn es mir also gelingt, eine größere Frage, intellektuell und emotional auf den Punkt zu bringen, anstatt beispielsweise Moral zu predigen, die ich nicht einmal selber im Stand bin einzuhalten, dann empfinde ich meine Arbeit im Sinne der Freude am progressiven Denken als sinnvoll.

Aerni: Was ermöglicht die Poesie für uns alle im Leben?

Bestenfalls das Erstrahlen von etwas in einem Licht, in dem man es ganz ehrlich noch nie gesehen hat.

 

Info:

Michael Fehr wurde 1982 in Bern geboren. Er studierte 2007 – 2012 am Schweizerischen Literaturinstitut Biel und am Institut der Hochschule der Künste Bern. Seine Buchpublikationen sind «Kurz vor der Erlösung» (2013), «Simeliberg» (2015) und «Glanz und Schatten» (2017). Er ist die Stimme auf dem Musikalbum «Bruxelles» von Simon Ho (2016). Auf dem Studioalbum «Im Schwarm» (2018) sind einige seiner Geschichten als Songs changierend zwischen Erzählung und Musik erschienen. https://www.michaelfehr.ch

„Es braucht Mut“

Ab 14. Dezember präsentieren acht Mal- und Kunsttherapeutinnen in Weggis ihre eigene Kunst. Zu dieser Abschlussausstellung des Moduls „Künstlerische Fähigkeiten IHK“ gibt die Kurleisterin Denise Huber Auskunft. Von Urs Heinz Aerni.

Urs Heinz Aerni: Nicht wenige Stunden und Tage verbrachten hier Mal-  und Kunsttherapeutinnen,die ihre eigenen künstlerischen Talente nachspürten. Was war das Ziel dieses Moduls?

Denise Huber: Die Studierenden erhalten die Möglichkeit, verschiedenste künstlerische Techniken und Herangehensweisen kennenzulernen und auszuprobieren. Sie experimentieren mit unterschiedlichen Materialien und setzen sich vertieft mit einer Arbeit auseinander. Das Modul wird abgeschlossen mit dem Modulzertifikat Künstlerische Fähigkeiten IHK. Dieser Abschluss befähigt die Studierenden, eine eigene künstlerische Arbeit in einer selbst gewählten Technik zu entwickeln und diese zu reflektieren. Das Modulzertifikat Künstlerische Fähigkeiten IHK zählt als Teilabschluss für die Zulassung zur eidgenössisch anerkannten Höheren Fachprüfung Kunsttherrapie (HFP-KST), Fachrichtung Gestaltungs- und Maltherapie.

Aerni: Oft bestehen Hemmungen, sich ins künstlerische Gestalten zu wagen, woran könnte das liegen?

Huber: Wir Mal- und Kunsttherapeuten sind in der therapeutischen Arbeit damit beschäftigt, unterschiedliche Menschen in Prozessen mit bildnerischen Mitteln zu begleiten. Sind also in der Rolle als Therapeuten und nicht als Gestaltende. Dieser Schritt ins eigene gestalterisch-künstlerische Tun ist ein ganz anderer.

Aerni: Und gegen aussen auch ein Mittel, um sich mitteilen zu können, oder?

Huber: Künstlerisches Gestalten oder Kunst, – ist immer Kommunikation mit künstlerischen Mitteln. Es braucht neben der persönlichen, eine gesellschaftliche und universelle Dimension.

Aerni: Mit welchen Auswirkungen könnte man rechnen, bei einer Arbeit der kreativen Art?

Huber: Wenn man sich einer solchen auf ernsthafte Art und Weise stellt, kommt man auf ein Terrain, welche weitergeht, als der gute Geschmack und das bedeutet immer eine Konfrontation mit sich selbst und den gesellschaftlichen Gegebenheiten.

Aerni: Die Ausstellung präsentiert Arbeiten von Künstlerinnen aus Zürich, Basel, Aarau oder Winterthur. Wie wichtig ist das Umfeld für ein Seminar wie dieses?

Huber: Die Teilnehmerinnen des Moduls Künstlerische Fähigkeiten IHK, sind Mal- und Kunsttherapeutinnen, welche sich in diesem Jahr auf einen eigenen künstlerisch-gestalterischen Weg begeben. Das schulische Umfeld wird in der Regel als bereichernd und und „ansteckend“ empfunden. Die Zufriedenheit ist aber auch von dem abhängig, was man aus dem im Unterricht Gelernten macht. Der Anteil an Selbsterfahrungsstunden ist hoch.

Aerni: Die Objekte können recht lange hier in Weggis besichtigt werden. Wo beginnt für Sie die oder eine Kunst zu wirken im Alltagsleben?

Huber:  Eigene gestalterisch-künstlerische Bilder und Werke auszustellen ist ein grosser Schritt und der kostet Mut. Über das Zeigen, wird das was man macht, nach Aussen hin sicht- und austauschbar.

 

Info:

Abschlussausstellung des Moduls „Künstlerische Fähigkeiten IHK“ im Hotel Rigi in Weggis. Am Samstag, 14. Dezember 2019, 14:00 – 17:00 Uhr findet die Vernissage statt mit den Ausstellenden Jacqueline Aerni, Jeanine Lanbacher, Piacentina Mariano, Claudia Schweikert, Ruth Solazzo, Ursula Staub, Monika R. Wintermantel und Gerda Wüst.

Denise Huber ist Ausbildungsleiterin und Dozentin am Institut für Humanistische Kunsttherapie in Zürich und leitet das Modul Künstlerische Fähigkeiten IHK. Sie ist ausgebildete Kunsttherapeutin (ED), Fachrichtung Gestaltungs- und Maltherapie, Ausbilderin mit eidg. FA, Künstlerin bildende Kunst HF (F+F, Schule für Kunst und Design, Zürich) sowie in psychiatrischer Krankenpflege. www.kunsttherapie.ch

Dieses Interview erschien zuerst in der WOCHEN-ZEITUNG.

Denise Huber – PD
Flyer Ausstellung Weggis