Martin Kunz ist Philosoph, Pädagoge, Dozent, Autor und Gastgeber im Atelier für Kunst und Philosophie in Zürich – Ein Interview

 

Urs Heinz Aerni: Sie leben in Zürich Albisrieden und betreiben ein Atelier für Kunst und Philosophie, was macht dieser Teil der Stadt Zürich mit Ihnen?

Martin Kunz: Hier habe ich meine Kindheit verbracht. Meine Eltern haben hier in den dreißiger Jahren ein Haus gekauft, um in der Stadt zu sein und doch auch etwas auf dem Land. Die Fellenbergstraße war eine ungeteerte Sackgasse. Und noch in meiner Kindheit, also in den fünfziger Jahren gab es einige Bauern in Albisrieden. Auf dem Schulweg ins Untermoos besuchten wir Jungs ab und zu den Hufschmied an der Altstetterstraße. Amboss und Esse hatten etwas geheimnisvoll Faszinierendes.

Aerni: Sie gingen weg und kamen wieder…

Kunz: Ja, in den achziger Jahren bin ich nach Albisrieden zurückgekehrt, habe das Elternhaus übernommen, meine Tochter kam zur Welt, das war eine Phase der Familienzeit. Allmählich entstand dann in Haus und Garten ein Ort der Begegnung. Wohnzimmerkonzerte fanden statt und vor zwanzig Jahren begannen Markus Huber und ich mit der Reihe „Philosophie im Gartenhaus“. Wir machten und machen das in der Regel zu zweit – er als Philosoph und Mathematiker, ich als Philosoph und eine Art Künstler. Nun steht das Haus nicht mehr, und seit einem Jahr geht alles – noch intensiver – weiter im Atelier beim Hubertus.

Aerni: Man erlebt Sie als Dozierender an der Pädagogischen Hochschule Zürich, als Philosoph im Spital Affoltern am Albis, wir haben uns auch schon in Berlin getroffen, was treibt Sie besonders an?

Kunz: Ich hatte das Privileg, mich in viele Welten hinein begeben zu dürfen: Früh habe ich Klavierunterricht erhalten, später war ich am Konservatorium, ich malte, aber ebenso haben mich Psychologie und Philosophie gepackt. Ich studierte in Zürich und Berlin. So war ich im Verlaufe des Lebens Pädagoge, Psychotherapeut, Mitbegründer einer Künstlergruppe, Musiker, Dozent an einer Kunsttherapieschule, Dozent an der Pädagogischen Hochschule und eben frei tätiger „Diskursmischer“ oder „KünstlerPhilosoph“, wie ich mich manchmal nenne.

Aerni: Was streben Sie an?

Kunz: Mein vermessener, letztlich aus der Frühromantik stammender, aber eigentlich auch ein avantgardistischer Traum ist, dass Philosophie, Religion, Kunst und Lebensgestaltung zu einer Einheit verschmelzen. Was ja nicht wirklich gelingt…

Aerni: Wieso gelingt das denn nicht? Es soll ein „lustvolles Nachdenken“ sein, das Philosophieren, so Ihre Worte auf Ihrer Website.

Kunz: Das älteste Anliegen der Philosophie ist, nach dem gelingenden Leben zu fragen. Wie können wir vermeintliches Glück von wirklichem Glück unterscheiden? Mit der Zeit trat diese ursprüngliche Frage in den Hintergrund und Philosophie verwandelte sich in ein Unternehmen, das in einer eigenartigen Begrifflichkeit sich eher abstrakten Themen widmete als lebenspraktischen Fragen – was natürlich auch sehr faszinierend sein kann.

Aerni: Die Philosophie hat sich in einen sprachlichen Elfenbeinturm vom Alltag der Gesellschaft verabschiedet…

Kunz: Selbst Karl Marx, der die verstiegene Philosophie vom Kopf auf die Füsse stellen wollte, ist ja nicht einfach zu lesen. So wie die einzelnen Wissenschaften, pflegt auch die Philosophie so etwas wie eine Fachsprache.

Aerni: Aber es scheint nun eine Kehrtwendung stattzufinden…

Kunz: Vor einiger Zeit sind nun einzelne Philosophen aus diesem akademischen Raum ausgebrochen und versuchen, philosophisches Denken für alle Interessierten fruchtbar zu machen. Wir tun das schmunzelnd: Die Philosophie ist eine ernste Angelegenheit, aber so ernst auch wieder nicht…

Aerni: Das Nachdenken über das Sein haben ja prominente Autoren wie Alain de Botton, Peter Bieri und Richard David Precht mächtig ins Rollen gebracht. Wird das unserer Welt helfen?

Kunz: Ja – was hilft unserer Welt? Die Philosophie stellt zunächst kritische Fragen. Gefährlich sind diejenigen, die genau wissen, wie es ist. Philosophie leistet aber noch mehr. David Precht, um einen von Ihnen erwähnten populären Denker herauszugreifen, hat soeben den ersten Band einer Geschichte der Philosophie herausgegeben. Er spricht und schreibt rhetorisch glänzend und gut verständlich. Er will in „die abenteuerlichen Landschaften des Geistes“ einführen.

Aerni: Aber?

Kunz: Philosophen sind sich natürlich nie ganz einig über das, was Philosophie soll. Ich finde, er muss heute unter anderem für einen Zauderrhythmus eintreten.

Aerni: Im Sinne Freuds Erklärung, einerseits nach vorne zu gehen, um andererseits wieder zurück zu gehen um es neu anzugehen…

Kunz: Ja. Er muss überdies zeigen, wie wir trotz Pluralismus und Relativismus die Ideale eines erneuerten Humanismus vertreten können. Ein andere Perspektive ist die der persönlichen Aufklärungsarbeit, die unterdessen über den Mut, selber zu denken, noch hinausgeht: Zusammen mit den Erkenntnissen einer tiefenpsychologisch orientierten anthropologischen Psychologie kann die Philosophie beitragen zur Individuation des einzelnen: Versuche, die Welt in dir zu erkennen und zu gestalten. Damit trägst du zur Gestaltung der Welt da draußen bei. Das Paradoxe zusammen zu denken und zu leben, ist die höchste und schwierigste Integrationsaufgabe, die sich dem Individuum stellt. 

Aerni: Sie verbinden an Ihren Veranstaltungen die Philosophie zudem mit Kunst und Musik. Grenzüberschreitende Disziplinen sollen den Intellekt und wohl auch die Muße anregen. Woran merken Sie, dass es funktioniert?

Kunz: Die Philosophie muss heute, wie schon angetönt, ihre eigenen Grenzen sprengen, indem sie die Psychologie sowie Aspekte religiöser Denktraditionen und eben Kunst und Musik als nichtdiskursive Sprachen miteinbezieht. Im besten Fall führt das zu Denk- und Handlungsfiguren, die unsere instrumentelle Vernunft weitet zu einer Vernunft der Schönheit.

Aerni: Klingt sehr schön.

Kunz: Natürlich ist das oft noch ein Nebeneinander. Die Utopie einer Verschmelzung von Philosophie und Kunst aber bleibt. Wenn die Teilnehmenden nach dem Anlass bereichert sind, berührt und mit einem lachenden Auge nach Hause gehen, dann hat es geklappt. Das andere Auge muss offen bleiben für die Ungeheuerlichkeiten, die sich auf unserer Welt abspielen.

Aerni: Wen besonders möchten Sie für Ihre Anlässe ansprechen?

Kunz: Unsere philosophischen Anlässe richten sich an alle Menschen, die die Dinge gerne von verschiedenen Seiten her bedenken. Es sind keine akademischen Seminare, aber eine gewisse Bereitschaft, auch komplexere Zusammenhänge gedanklich nachvollziehen zu wollen, ist schon wünschenswert. Niemand muss etwas, man darf auch schweigen. Daneben gibt es aber auch Konzerte, literarische Events oder auch einfach mal einen Brunch – mit Interventionen natürlich.

Aerni: Geben Sie uns zum Schluss noch einen Buch- und einen Musik-CD-Tipp?

Kunz: Einen Musik-Tipp zu geben, scheint mir sehr schwierig. Die Hörer sind in der Regel in ihre Soundblasen eingesperrt und hören nur dies oder das: Jazz, Pop, Techno oder Klassik, um nur grobe Unterteilungen zu machen. Menschen, die zur Ruhe kommen, in sich versinken möchten, rate ich zu Spiegel im Spiegel von Arvo Pärt (ECM)

Aerni: Und für Lesende?

Kunz: Ein Buch, das mir einfällt, wenn ich an Menschen denke, die sich von der Religion entfernt haben, aber dennoch oder umso mehr auf Sinnsuche sind, wäre: Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne Gott von André Comte-Sponville (Diogenes-Verlag)

Martin Kunz ist Philosoph, Pädagoge, Dozent, Autor und Gastgeber im Atelier für Kunst und Philosophie in Zürich

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