Beginnt ein Label zu schwanken?

Es ist schon lange her, die Veranstaltung auf Einladung des Verlegers Dirk Vaihinger von Nagel & Kimche zum Austausch ins schöne Hotel Waldstätterhof in Brunnen am Vierwaldstättersee. Es versammelten sich Autorinnen, Verleger, Buchhändlerinnen, Journalisten und anderweitig Publizierende. Wir saßen in einem feudalen Saal, das Fenster stand offen und gab die Sicht frei auf die Urner Berge hinter gleißendem Wasser und vor stahlblauem Himmel. Als die Podienteilnehmenden fast alle zugleich und mit etwas Sehnsucht rausschauten, fuhr in diesem Moment ein hornendes Schiff vorbei mit wehender Schweizer Flagge. Da konnte der damalige Hanser-Verleger und heute freischaffender Lyriker Michael Krüger, nicht anders als auszurufen: «Was sorgt sich die Schweiz, schaut Euch das an, diese herrlich glitzernden Berge!» so sinngemäß, wie gesagt, ist schon eine Weile her. Da ergriff der beliebteste Literaturwissenschaftler Peter von Matt das Wort, zeigend mit dem Finger auf die selben Berge: «Und drinnen, drinnen donnert die Hölle!» Das Publikum verstand sofort die Anspielung der beiden Medaillenseiten der Schweiz. Betrachten wir die sogenannte Kehrseite derselben. Was macht sie den aus, die Schweiz oder die Idee der Schweiz? Müssen wir uns Sorgen machen um die die zahlreichen Gütesiegel, die für ein Lebensprinzip namens Schweiz garantieren? Nach dem Grounding der Swissair, zerkratzten die UBS und die Credit Suisse mit ihren Risikogeschäften ziemlich das Image des Alpenstaates und die Raiffeisen stolperte im Expansionswahn gleich hinterher. Ähnlich wie sich die Schweizerische Post immer mehr vom Otto Normalverbraucher entfernt, verspielte die Postauto AG dank den Gelüsten auf mehr Boni das Vertrauen der landesweiten Mitinhabern, sprich Steuerzahler. Die SBB, wohl lernunfähig und beratungsresistent, schliddert immer mehr in die Negativzeilen mit ihrer Preispolitik bei Kindern mit Rentnern und als aufstrebenden Immobilien-Giganten mit Fokus auf Rendite, koste was es wolle. Das Gesundheitssystem verlässt das gemeinnützige Ideal durch Privatisierung von Spitälern und psychiatrischen Kliniken. Es wird ständig diskutiert, wer die Kosten für die Räumungsarbeiten in Bondo bezahlen soll, was die Sicherheit am WEF in Davos kostet und in Bundesbern wird über die Kürzung der Sozialleistungen für Menschen am Rand der satten Gesellschaft debattiert.

Sie haben Recht, jetzt sieht es der Verfasser doch allzu pessimistisch. Wir haben ja unsere SRF gerettet, die Zürcher Kantonsregierung schuf den 5-Frankenzuschlag auf den Schiffen ab und schlussendlich sind unsere Seen inzwischen so sauber, dass überall darin gebadet werden kann, auch wenn die Berufsfischer für sich engmaschigere Fangnetze reklamieren, da die Fische nicht mehr so groß werden, wie damals im trüben Wasser … jetzt muss ich schauen, dass ich mich nicht verheddere.

Urs Heinz Aerni

(Die Kolumne erschien zuerst in der Zeitung Bündner Woche)

Der passende Buchtipp: „Total alles über die Schweiz“, Susann Sitzler, Folio Verlag, ISBN 978-3-85256-673-3

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Lernen aus einem großen Denkfehler der SBB?

Soviel ich weiß, möchte die SBB (Schweizerischen Bundesbahnen) noch immer die mobile Minibar abschaffen, aus Gründen der unzureichenden Rentabilität. Warum sind solche Entscheide ein Riesenfehler?

Nehmen wir als Beispiel ein Hotel. Die Gäste freuen sich auf ein breites Angebot an Service und Einrichtungen wie Wellness, Hallenbad, Bikes, Abendessen, Zimmerservice, Lobby, Fitnessraum, Billard oder Ausflüge mit Guide. Die Auswahl und die Aussicht, das alles benutzen zu können ohne zu müssen, beglückt den Gast und befeuert die Vorfreude. Was aber, wenn der Gast in seinem Urlaub mal den Pool nicht benutzt, dafür zwei Ausflüge bucht? Oder er ginge dreimal Billardspielen aber nie ins Hamam? Würde deshalb der Pool trockengelegt und das Hamam zugesperrt werden? Mitnichten!

Weil der Pool oder das Hamam oder sonst ein Angebot in sich selber nicht rentabel sein muss. Alle Optionen gehören zum Gesamtbild des Hotels. Dieses Gesamtkonzept definiert ein Label, eine Marke mit einer ausstrahlenden Attraktivität, die entsprechend wirkt und Kundschaft generiert. Dasselbe gilt für Destinationen, Regionen ja sogar Kantone. Sogenannte strukturarme dafür naturreiche Gegenden müssen für das Label Graubünden mit urbanen und mainstreamigen gekoppelt und als Ganzheit angepriesen werden. Denkte jedes Tal im Alleingang ans liebe Geld, würde es zur totalen Verschandelung der Landschaft führen, die weder Biker, Snöber noch Naturfreunde und Wanderer locken könnte. Wenn Konzerne wie die Bahn für jeden einzelnen Service eine eigene Rendite erwirtschaften wollten, dann verlöre das Reisen mit dem Zuge den Ruf, von dem sie bisher lebten.

Erschienen in der Bündner Woche

Der passende Buchtipp: „Nachhaltigkeits-Marketing-Management“ von Christin Emrich, Verlag De Gruyter

Wenn die SBB Geld will

Mein Generalabonnement (jetzt SwissPass) läuft ab. Mit dieser Karte kann in der ganzen Schweiz gereist werden, mit Schiff, Straßenbahn, Eisenbahn, Bus und mit vielen Bergbahnen. Wenn wir ins Ausland reisen, stellen wir das Abo gegen eine Gebühr zurück und erhalten dann eine Gutschrift für diese Zeit. So weit, so gut.

So ein SwissPass kostet für ein Jahr 3.655 Franken. Und die Jahresrechnung kam wieder pünktlich, aber:

  • nicht per Post, sondern als Link zu einer Website, auf der man sich registrieren muss um an sie zu kommen.
  • nicht mit den Gutschriften für die Zeiten, in der wir eben nicht im Land waren.

Ich fragte nach. Zuerst hieß es, dass die Gutschriften erst nach der Kündigung des SwissPasses gutgeschrieben würden. Ich muss also kündigen, damit ich zu meinem gutgeschriebenen Geld komme? Ja, lautet zuerst die Antwort.

Bei meiner zweiten Anfrage, wurde mir mitgeteilt, dass die Gutschrift bei einem Neukauf eines SwissPasses abgezogen würden. Bitte?

Bei der nächsten Anfrage, bat man mich um Verzeihung, denn nun würde die Gutschrift auf der Jahresrechnung in Abzug gebracht werden.

Dann erhielt ich eine neue E-Mail mit dem Link zu meiner Rechnung. Ich loggte mich dann auf der SBB-Website wie gewünscht ein: „Es ist ein unbekannter Fehler aufgetreten“.

Ich reklamierte wieder und bat einfach um eine Rechnung. Diese kam dann in Form einer E-Mail und dann auch noch per Post.

An jedem Kiosk kann ich eine Zeitung und eine Schockoriegel mit der Kreditkarte zahlen (was ja auch verrückt genug ist) aber wenn ein Konzern von einem Kunden 3.655 Franken will, heißt es Helm auf und einen halben Arbeitstag investieren.

SBB streicht die Minibar

Die Abschaffung der Minibar bei der SBB könnten auch andere Gründe haben. Vor kurzem kam ich mit einem Minibar-Mann ins Gespräch und er erzählte mir aus seinem Alltag: Er musste von Zürich nach Genf fahren um dort seine Wägelchen in Empfang zu nehmen damit er den Dienst antreten konnte. Oft hatte er mehrmals am Tag bis zweistündige Pausen irgendwo auf einem Bahnhof. Mehrmals kam es vor, dass er ein Wagen halb leer, also nicht mit vollem Sortiment entgegennehmen musste und so dementsprechend weniger verkaufen konnte. Er erhielt vom Arbeitgeber schon Briefe, auf denen zwar seine Adresse stand aber an einen anderen Empfänger gerichtet waren.

Könnte ein Teil der Unrentabilität durch eine ineffiziente innerbetriebliche Organisation und Struktur hausgemacht sein? Wurde einer Optimierung der Vertriebs- und Personalstruktur sowie des Sortiments vorher überhaupt eine Chance gegeben? Die Minibar gehört zu einem Gesamtkonzept des Komforts für Bahnreisende und wenn jeder Deut in sich rentieren soll, so sei doch auch gleich das Licht runtergedimmt oder ganz gelöscht, da ja eh fast jeder Fahrgast in sein Smartphone starrt. Und zum Beispiel die ÖBB? Antwort von Sonja Horner von der ÖBB: „Bei uns ist beim mobilen Bordservice keine Abschaffung oder Änderung geplant. In Österreich sind die Kunden mit dem Catering-Angebot zufrieden, wir wollen das Reisen weiterhin so komfortabel wie möglich gestalten. Wir werden das Angebot, auch für Fernzüge in die Schweiz, beibehalten. In der ersten Klasse wird das Essen direkt zum Sitzplatz gebracht.“ Das ist Reisen im 21. Jahrhundert.

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Ein weiteres Kapitel dazu:

Vor kurzem blieb ein Schnellzug von Zürich nach Locarno vor Bellinzona mitten auf der Strecke stehen. Grund: Stromausfall. Auch auf diesem Zug gab es weder ein Restaurant noch eine Minibar. Die Gäste mussten ohne Mindestverpflegung ausharren. Eine Anfrage an die SBB ergab diese Antwort, die wir nun hier mit eingefügten Kommentaren veröffentlichen:

 

Die Antwort vom Kundendienst SBB Zürich:

Sehr geehrter Herr Aerni

Besten Dank für Ihren Brief vom 8. März. Wir bedauern Ihre unglücklich verlaufene Fahrt vom 5. März nach Locarno. Wir entschuldigen uns für die entstandenen Unannehmlichkeiten.

Aerni: Sich selber entschuldigen geht übrigens, nicht, man kann aber darum bitten.

Wie Sie uns mitteilen, müsste auf Zügen mit längeren Distanzen ein Mindestangebot an Essen und Trinken vorhanden sein. Selbstverständlich würde dies von einem Teil der Kunden bestimmt geschätzt, ein solches Angebot müsste sich wirtschaftlich auch zumindest teilweise rechnen.

Aerni: Den Durst und den Hunger von Fahrgästen im stillstehenden Schnellzug auf offener Strecke zu stillen, müsste sich wirtschaftlich rechnen?

Generell erreichen die Minibars eine schlechte Wirtschaftlichkeit. Der Grund dafür bildet vor allem das immer steigende Angebot an Verkaufsständen in den Bahnhöfen, mit welchen sich die Kunden bereits vor der Reise eindecken.

Aerni: Die Minibars erreichen u. a. auch eine schlechte Wirtschaftlichkeit durch komplizierte interne Strukturen, überforderte Logistik, sich nie änderndes Sortiment und oft wegen unmotiviertes Personal, das manchmal mit der Minibar durch die Gänge rast, mit der Angst, von Bestellwilligen angesprochen zu werden. Zudem besitzen kleine Bahnhöfe nur noch Automaten oder kleine Kioske und auf den großen ist der Weg zwischen den Bahnsteigen ziemlich lange, was beim Umsteigen ein Einkauf des öfteren unmöglich macht.

Mit den Angaben im Fahrplan, ob ein Verpflegungsangebot vorhanden ist oder nicht, können sich die Reisenden auch entsprechend einrichten.

Aerni: In der Tat, in der Ahnung, dass der Zug möglicherweise wegen einer Panne lange in der Pampa stehen bleibt. Oder meinen Sie, dass wir wie zu Kriegszeiten uns vor der Fahrt kulinarisch eindecken sollten mit dem Motto: „Es kann ja alles passieren“?

Bei dem von Ihnen erwähnten IR 2417 nach Locarno ist das Minibarangebot nachfrageabhängig vorgesehen. So wird vom 1. April bis 30. Okt. jeweils freitags bis sonntags eine Minibar angeboten.

Aerni: Eine wertvolle Information, wenn man außerhalb diesen Zeiten Zug fährt oder eben damit stehen bleibt.

Wir hoffen auf Ihr Verständnis für unsere Ausführungen und danken Ihnen für die Gelegenheit unserer Stellungnahme.

Aerni: Sie dürfen weiter hoffen.

Freundliche Grüsse
Heinz Baumann
Kundendienst Region Zürich
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SBB AG
Division Personenverkehr, Kundendienst
Postfach, 3000 Bern 65, Schweiz
Telefon +41 51 222 33 22
kundendienst@sbb.ch, www.sbb.ch
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Der Zu­gang durch die Hin­ter­tü­re

Warum kam die Postauto AG in Chur vor einigen Monaten auf die Idee, neu den hinteren Sichteinstieg einzuführen? Viele Jahre war man sich gewohnt, nur vorne einsteigen zu dürfen, damit niemand schwarz fährt. Im Berner Oberland ging mir dann ein Licht auf.
Über 20 Ornithologen wollten hoch auf den Gurnigel fahren, da viele Zugvögel gen Süden ziehen. Der Fahrer war etwas knapp in der Zeit und begann, die Fahrscheine zu verkaufen, Tickets zu knipsen und GA-Besitzer durchzuwinken. Aber unter den mit Fernrohr und -glas bewehrten Reisenden gesellten sich auch Inhaber des neuen Swiss Passes.
Sie wissen, das Nachfolgeprodukt des GA*. Sieht schön patriotisch rot aus. Der Chauffeur nahm das Ding in die Hand und hielt es an ein Gerät, um die Daten zu checken oder auszutauschen.
Ich stand da, sah ihm zu. Hinter mir die Schlange der Passagiere, geduldig, aber unter keimender Anspannung.
Ich versuchte, etwas aufzulockern und sagte zu ihm: «Schauen Sie doch gleich nach, wie viel ich noch auf dem Bankkonto habe.» Die sitzenden Fahrgäste lachten, hinter mir verdrehen die anderen die Augen und der Fahrer verlor die Nerven, da das Gerät nicht flott zu funktionieren schien. Er gab mir diesen Swiss Pass zurück und liess mich durch, zugleich öffnete er die hintere Türe für den Masseneinstieg.
Jetzt sind meine Daten für die Fahrt auf den Gurnigel nicht gespeichert, und es klafft eine Lücke in der Kette der protokollierten Fahrten mit meinem hochroten Swiss Pass. Die Postauto AG in Graubünden traf wohl eine weise Entscheidung.
Liebe Feriengäste, ein fröhliches Einsteigen und gute Fahrt!

*Für Leserinnen und Leser aus Deutschland und Österreich: mit dem Generalabonnement (GA) kann man ein Jahr lang mit fast allen Zügen, Schiffen, Bussen und Straßenbahnen fahren. Das kostet so zwischen 3.000 und 6.000 Franken, ja nach Klasse.