Schlagwort: Österreich
Vom Eigenen und vom Fremden
Die 15. Internationalen Literaturtage Sprachsalz (8.–10. September 2017) zeugen auch in diesem Jahr von der Kraft der Gegenwartsliteratur: Freuen kann man sich auf Preisgekröntes von A. L. Kennedy und Guntram Vesper, Lakonisches von Josh Weil und Verstörendes von David Vann. Vigdis Hjorth erzählt über das Eigene und das Fremde und Sacha Batthyany begibt sich auf eine zeitgeschichtliche Spurensuche. Alle Veranstaltungen im Parkhotel Hall, Kurhaus und Medienturm Ablinger.Garber sind wieder bei freiem Eintritt zu besuchen.
«Auch bei der mittlerweile 15. Auflage wenden wir das Erfolgsrezept der letzten Jahre an: Wir teilen mit unserem Publikum unsere ganz persönlichen Lesevorlieben, mitreißende, hörenswerte, kontroverse wie einende Texte, und freuen uns auf die vielsprachigen Erzähler und Erzählerinnen, die wieder bei mehreren Lesungen während des Festivals zu erleben sind», so Magdalena Kauz, die gemeinsam mit Heinz D. Heisl, Elias Schneitter, Urs Heinz Aerni und Ulrike Wörner für das Programm verantwortlich zeichnet.
AUTORINNEN und AUTOREN 2017
Sacha Batthyany (Schweiz)
Svenja Herrmann (Schweiz)
Vigdis Hjorth (Norwegen)
Burkhard Jahn (Schweiz)
A. L. Kennedy (Großbritannien)
Martin Kolozs (Österreich
H. P. „Düsi“ Künzler (Schweiz)
Rolf Lyssy (Schweiz)
Judith Pouget (Österreich)
Petra Piuk (Österreich)
David Vann (USA)
Guntram Vesper (Deutschland)
Martin von Arndt (Deutschland)
Peter K. Wehrli (Schweiz)
Josh Weil (USA)
Zu Sprachsalz kommt in diesem Jahr mit A. L. Kennedy eine der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftstellerin Großbritanniens. Ihr aktueller Roman «Serious Sweet» – nominiert für die Longlist des Man Booker Prize – handelt von zwei grundanständigen Menschen die versuchen, richtige Entscheidungen in einer durch und durch unmoralischen Welt zu treffen. Einmal mehr verhandelt Kennedy ihre Themen mit der ihr eigenen Mischung aus Komik, Sarkasmus und einem gnadenlos entlarvenden Blick.
Verstörendes zu erzählen, darauf versteht sich der in Alaska geborene David Vann auf ganz besondere Weise: Komplizierte und spannungsgeladene zwischenmenschliche Beziehungen präsentiert er in unprätentiösen, klaren Texten. Nach seinem kunstvollen wie gefeierten Roman «Aquarium» entwirft er in seinem neuen Werk «Bright Air Black» ein facettenreiches Porträt von Medea, der wohl faszinierendsten Frau der Mythologie.
Der US-amerikanische Schriftsteller Josh Weil, meisterhaft lakonisch und genau in der Zeichnung seiner Figuren und ihrer Seelenzustände, ist mit zwei Bänden zu Gast bei Sprachsalz: Er liest aus dem Roman «Das gläserne Meer» sowie aus dem soeben erschienen Band «The Age of Perpetual Light» mit acht Erzählungen über das Menschsein und die stete Suche nach Fortschritt und einem besseren Leben.
Vigdis Hjorth machte sich in ihrer norwegischen Heimat mit Essays und Diskussionsbeiträgen zu gesellschaftlichen Themen und ihrem scharfen Blick auf Alltags-Sexismus, rassistische Vorurteile und Verhaltensweisen einen Namen. In ihrem neuen Roman «Bergljots Familie», den sie frisch aus der Druckerpresse mit nach Hall nimmt, erzählt sie mit sezierender Klarheit die Geschichte eines Familienzwists, der aufgrund eines Testaments ausbricht.
Mit der Heimat als provinzielle Antiidylle setzt sich Petra Piuk in ihrem gerade erschienenen Buch «Moni und Toni oder: Anleitung zum Heimatroman» auseinander: Bitterböse und höchst unterhaltsam demontiert sie mit dieser Gebrauchsanweisung Stück für Stück den Schein des zivilisierten Mitteleuropas und hebelt gleichzeitig kunstvoll alle Regeln des klassischen Erzählens aus.
ZEITGESCHICHTEN
Auf eine zeitgeschichtliche und familiäre Spurensuche begibt sich der Schweizer Journalist und Schriftsteller Sacha Batthyany in seinem Buch «Und was hat das mit mir zu tun?», das den Leerstellen seiner Familiengeschichte nachspürt: Seine Großtante war in das Massaker von Rechnitz verwickelt, eines der schrecklichsten Nazi-Verbrechen am Ende des Zweiten Weltkriegs.
Ein schillerndes Kompendium der eigenen und der deutschen Identität präsentiert Guntram Vesper mit dem Buch «Frohburg», für das er mit dem Leipziger Buchpreis 2016 ausgezeichnet wurde. In diesem Opus Magnum macht sich der deutsche Autor auf die assoziative und obsessive Suche nach der eigenen Biografie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und reiht sich damit ein in die Erzähltradition von Walter Kempowski und Peter Kurzeck.
Martin von Arndt begibt sich in seiner Reihe um Kommissar Andreas Eckart in die deutsche Vor- und Nachkriegszeit: Im atemlos erzählten Politthriller «Tage der Nemesis» thematisiert er wahre Verbrechen und fängt so die politisch aufgeheizte Atmosphäre der 1920er Jahre eindrücklich ein. Im wendungs- wie temporeichen zweiten Band folgt er Kriegsverbrechern auf der Flucht, die sich nach dem 2. Weltkrieg auf den titelgebenden «Rattenlinien» abzusetzen versuchten.
Rolf Lyssy zählt nicht nur zu den erfolgreichsten Filmemachern der Schweiz, sondern es gelang ihm auch ein Buch-Bestseller: «Swiss Paradise» hätte die Fortsetzung des Filmes „Die Schweizermacher“ mit Emil sein sollen, stattdessen entstand ein schonungslos ehrliches Buch über seine Heimat und Lyssys eigene Geschichte, indem er Einblicke in die dunkelste Zeit seines Lebens gewährt.
Für das Erzählen in seinen vielfältigen Ausdrucksformen steht auch der in London lebende Schweizer Kulturjournalist Hanspeter «Düsi» Künzler. Er versteht es mit Geschichten, die das Leben schreibt, und die hinter den Texten entstehen, zu unterhalten. Den Blick dahinter gewährt er auch seinen Lesern, u. a. mit seinem Bestseller «Der Thriller um Michael Jackson – Familie, Fans & Verfolgungsjagden».
REALITÄTSFRAGMENTE
Für die traditionelle Eröffnungslesung mit einem Tiroler Autor wurde in diesem Jahr Martin Kolozs eingeladen, der sich in seiner Literatur wie in seinen biografischen Texten intensiv mit dem Thema des Glaubens auseinandersetzt, so auch in seinem Gedichtband «Mein unruhiges Herz» mit Gebeten, Anrufungen und Psalm-ähnlichen Evokationen.
Subtil und sprachlich prägnant erkundet die Schweizer Lyrikerin Svenja Herrmann in ihrem aktuellen Gedichtband «Die Ankunft der Bäume» die Schnittstelle zwischen der bedrohten Natur und unserer Zivilisation: Mal sind Naturphänomene Auslöser der poetischen Betrachtungen, dann wieder städtische Szenerien.
Momentaufnahmen seiner ausgedehnten Reisen hält er seit nunmehr 40 Jahren vorwiegend in Form von Kurzprosa fest: Bei Sprachsalz wird der Schweizer Peter K. Wehrli einen Auszug aus seine Lebenswerk «Katalog von Allem» geben, in dem er einzelne Beobachtungen, nummeriert und mit einem Stichwort versehen, meist in einem Satz möglichst präzise zu beschreiben versucht.
Die österreichische Schriftstellerin und Lyrikerin Judith Pouget wirft in ihren Arbeiten poetische Schlaglichter auf die Wirklichkeit: In «ortlos» erzählt sie in kurzen, stark rhythmisierten und verdichteten Textfragmenten vom Fremdsein in einem anderen Land, vom Kampf mit den Wörtern beim Übersetzen und von der Einsamkeit in einer bevölkerten Stadt. Der Verlust der Sprache wird dabei zum Verlust der Gewissheit über die Realität.
Der deutsche Schauspieler, Regisseur und Autor Burkhard Jahn betrachtet in «Himmelblauer November» mit klassischen lyrischen Texte aus vier Jahrzehnten ebenso wie in seinem neuen Roman «Der Weg an der Sarca» die eigenen menschlichen Unzulänglichkeiten wie den Kampf mit dem eigenen Vergehen oder die Wehmut über verpasste Gelegenheiten.
SPRACHSALZ-MINI
Auch in diesem Jahr bietet Sprachsalz-Mini mit einer Buchwerkstatt für Kinder Einblicke hinter die Kulissen und lädt zum Selbermachen ein. Währenddessen wird es kurze Leseeinheiten von Sprachsalz-Autorinnen und -Autoren mit Texten für Kinder geben. (Eintritt frei, für Kinder von 7–12 Jahren, Material wird zur Verfügung gestellt – Anmeldung empfohlen.
SPRACHSALZ-GALA
Der Festabend am Sprachsalz-Samstag bietet Kulinarisches und Literarisches: Neben Lesungen – u. a. von A. L. Kennedy – gibt es ein Sprachsalz-Menü. Einlass 18.00 Uhr, ab 19.00 Uhr Vorspeise und Hauptgänge, Lesungen ab 20.30 Uhr, Dessertpause. Reservierung nur mit Menü möglich (VVK à 39 Euro/Person, ohne Getränke): online hier oder unter reservation@sprachsalz.com
SPRACHSALZ-WEBLOG
Sprachsalz bietet Interessierten auch in diesem Jahr wieder ein Weblog, auf dem Texte und Ausschnitte aus Lesungen als Audiofiles zu finden sind: www.sprachsalz.com/weblog/
TERMINE:
Parkhotel-Autoren-Empfang: Donnerstag, den 7. September 2016, ab 19.00 Uhr
(geschlossene Veranstaltung für geladene Gäste, Presse willkommen)
FÖRDERER, SPONSOREN, PARTNER:
Kooperationspartner: Medienturm Ablinger.Garber
Hauptsponsoren: Stadt Hall, Land Tirol, Bundeskanzleramt KUNST, Parkhotel Hall
Weitere Sponsoren und Partner: Kulturregion Hall-Wattens, Kultur.Tirol, Pro Helvetia, Retterwerk Mercedes, Restaurant Welzenbacher, Tirol Kliniken Hall, Tiroler Versicherung, Tiroler Tageszeitung, Austrian Airlines, Der Standard, Innsbrucker Zeitungsarchiv IZA, Literar mechana, ULB Universitäts- und Landesbibliothek, Lampe Reisen, Buchhandlung liber wiederin, Swarovski, parkSpa.
Szene in einem Asylbüro in Innsbruck
«Setzen Sie sich.»
«Dangge.»
«Sie suchen also bei uns einen Job.»
«Ja, wissen Sie …»
«Was für Berufserfahrungen bringen Sie denn mit?»
«Nun, ich arbeitete als Skilehrer, Pistenfahrzeugfahrer, Schneekanonen
bediener, als Gondelbahntechniker, Münzleerer der Billettautomaten …»
«Hmm …»
«Ich habe auch im Service ausgeholfen, an der Bar Drinks gemixt, den Touristinnen in den Pelzmantel geholfen und …»
«Okay, okay, klingt ja alles gut und schön. Das sind natürlich alles Erfahrun gen, die wir hier im Tirol brauchen können. Wie schaut es denn mit Sprache und Umgangsformen aus?»
«Mein Bündnerdeutsch kam immer saugut an, denn natürlich habe ich Englisch, Russisch und Italienisch gebüffelt. Aber seit die Touris immer mehr wegblieben …»
«Wir kennen euer Problem. Aber dass Sie gleich um einen Asylantrag bei uns hier in Österreich bitten?»
«Wissen Sie, seit dem Euroknicks damals, und als die Russen und so nicht mehr kamen, und dann die Überteuerung nach der Olympiade, äh und dann noch die Boden und Mietpreise …»
«Ja, ja, wir wissen von der Not bei euch, aber …»
«Und dann, als bei der nationalen Abstimmung die Österreicher unseren Antrag zur Übernahme als neues Bundesland ablehnten, dann …»
«Seit dann landen bei uns im Aufnahmezentrum eben Leute wie Sie aus dem Graubünden.»
«Aber ich kann doch all das, was bei Ihnen nun voll angesagt ist.»
«Schon, aber …»
«Was, aber?»
«Wir reden hier nicht bündnerisch, und unseren Schmäh habt Ihr ja auch nicht grad intus, oder?»
«Kann ich doch lernen.»
«Das bezweifle ich, Ihr seid ja heute noch stolz auf die verflossenen Zeiten. Ich gebe ja zu, wir mussten auch lange üben, um das K&K Gehabe aus dem Blut zu bringen. Aber jetzt boomt bei uns der Tourismus, da ist eben Austrianess sehr wichtig.»
«Das verstehe ich ja, aber …»
«Nun, wir haben aus Chur die Meldung erhalten, dass Leute in Graubünden gesucht werden und Jobs zu haben seien.» «Ich weiß …»
«Mein Lieber, Sie müssen eben umdenken und sich umschulen lassen.»
«Hmpf.»
«Das sind doch neue Berufe, die Sie erlernen können für Ihre alte Heimat, statt zu uns ins Tirol zu kommen.»
«Och …»
«Das sind doch tolle Herausforderungen! Hier das Blatt mit den Listen der Arbeitsstellen, die bei Ihnen zu haben wären.»
«Aber das habe ich noch nie gemacht.»
«Lesen Sie vor.»
«Assistent bei biologischen Forschungen im Camp der Uni Berlin, Hilfsarbeiter im Bereich nachhaltige Waldpflege, Kartierung mit Zusatzausbildung in Ornithologie, Begleitung der ReservatsGrenzsicherung, Servicehilfe im Camp der Naturforschergruppe der Uni Cambridge, Raumpflege im Forschungslabor für Biodiversität der Uni Zürich … eben.»
«Was, eben?»
«Habe ich noch nie gemacht, möchte lieber Ratrac fahren, Baukran steuern oder BikePisten ausstecken.»
«Das, mein lieber Bündner, machen wir hier nun selber. Und dazu haben wir mehr als genug Leute, sehr gute sogar, die nach dem Aufbau von Syrien wieder bei uns sind und ihre Erfahrungen auf den Baustellen mitbringen.»
«Also keine Chance für mich?»
«Leider nein. Aber gerne setze ich ein Empfehlungsschreiben auf als Refe renz für Ihre Rückkehr nach Graubünden.»
«Aber da wird nicht mehr gebaut, da ist nur noch Wildnis mit wilden Tieren und Forschern.»
«Darum, mein Lieber, beginne ich langsam, Sie zu beneiden.»
Wien oder Viertausender?
Wir nahmen Platz, in einer Gaststube in Wien nach einer Veranstaltung. Am langen Tisch saßen Kultur- und Medienmenschen und ich, der einzige Schweizer. Der Wein ist geordert, das Schnitzel ebenso. Aufgeräumt war die Stimmung, angeregt die Gespräche. Irgendwann, im Laufe des späten Abends plauderte man über die Vielfalt der Sprache Deutsch. Kommentiert wurden die Eigenarten im Berlinerischen bis zum Wienerischen, vom Bayrischen bis zum Tirolerischen. Als jedoch das Schweizerische Erwähnung fand, ging es los, mit dem Lächeln, Schmunzeln. Worte wie „ist ja nett“ und „klingt so originell“ oder „ach wie niedlich“ machten die Runde. Der einzige Schweizer an der Tafel hörte zu und schwieg. Doch nicht lange. Er bat ums Wort und erhob die Stimme: „Habt Ihr gewusst, liebe Österreicherinnen und Österreicher, dass die Schweiz über 30 Viertausender hat?“
So schnell still wurde es wohl noch nie, in der Gaststube mitten in Wien. Denn Österreich hat keinen einzigen Viertausender. Das Verhältnis zwischen Österreich und der Schweiz wurde durch diesen Satz an diesem Abend auf den Gefrierpunkt gesetzt.
Der Kellner (sprich Ober) hörte mit und verschwand kurz im Büro. Dann trat er mit einem aus dem Internet ausgedruckten Zettel und sagte zu dem Schweizer am Tisch: „Mein Herr, ich muss Sie korrigieren, Sie haben nicht über 30 Viertausender, sondern genau 48.“ Jetzt knisterte es im Saal erst recht. Wie können der Abend und die Völkerverständigung gerettet werden? Der Schweizer stand geistesgegenwärtig wieder auf und bat nochmals ums Wort: „Liebe Freunde, ein Land, das Wien sein eigen nennen kann, braucht keine Viertausender.“
Stille, gegenseitige Blicke, der Griff zum Zweigelt und hoch das Glas …
Uff!
Urs Heinz Aerni
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