Brennende Fragen vor dem nächsten Sommer

Die Gemeinderätin der Stadt Zürich, Simone Hofer Frei und der Altkantonsrat Andreas Honegger machten sich in der gleichen Ausgabe im «Tabglatt der Stadt Zürich» (22.04.2020) ähnliche Sorgen über die anhaltende Trockenheit und die mögliche Aussicht auf einen weiteren Hitzesommer, der für die urbane Region Zürich eine Herausforderung werden wird. Beobachtungen auf die baulichen Entwicklungen von Dietikon bis Wallisellen, von Zürich West bis Zürich Nord und von Utikon-Waldegg bis Kloten nötigen uns folgende kritischen Fragen ab, die sich Immobilienunternehmen, Architekturbüros und zuständige Behörden im Bereich Hochbau und Grünabteilung gefallen lassen müssen:

Warum wurden und werden nach wie vor riesige Flächen geteert oder betoniert wie beispielsweise Europa-Allee oder der neue Tramhalteplatz in Schlieren? Die Böden werden versiegelt, Regenwasser versickert nicht dezentral, sondern fließt konzentriert in Kanäle und Leitungen, was besonders bei Gewitter und Starkregen zu einer Belastung wird.

Wieso werden Hauseigentümerinnen und Privatgärtner nicht vermehrt sensibilisiert, auf Rasen, Thujahecken und exotische Zierpflanzen zu verzichten, zugunsten einheimischer Pflanzen, Blumenwiesen und strukturreichen Gärten?

Warum werden bei Neuüberbauungen praktisch nur Monokulturen an Bäumen gepflanzt, wie in Uitkon-Waldegg, Oerlikon oder Opfikon? Reihenweise Ahorn oder Birken bieten vielleicht auf dem Reißbrett ein «nettes» Bild aber solche monotone Pflanztechnik zeugen von wenig biologischem Wissen, fördert gegenseitige Schwächung durch Nahrungs- und Wasserbedarf sowie eine Anfälligkeit für Schädlinge, die somit von Wirt zu Wirt hüpfen können. Während die Forstwirtschaft langsam zur Einsicht kommt, dass Mischwälder sinnvoller sind als Monokulturen, ist von dieser Einsicht bei Planungen der urbanen Bepflanzungen nichts bis wenig zu spüren.

Wieso wird die Vertikal- und Dachbegrünung scheinbar doch noch zaghaft angegangen, trotz wissenschaftlicher Erkenntnis, dass dadurch nicht nur die Artenvielfalt unterstützt wird, sondern auch die Kühlung der Stadt in heißen Sommern?

Warum wird nicht vermehrt die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten von entsprechenden Instituten, Universitäten, Ökobüros und Verbänden wie BirdLife oder Pro Natura gesucht, vor allem in der privaten Immobilienwirtschaft?

Die Sommer werden heißer, der Bauboom ist ungebrochen und immer wieder protestieren da oder dort Menschen gegen die Abholzungen von alten Bäumen oder Alleen. Egal, welcher politischen Gesinnung die Gemeinde- und Stadtregierungen gerade unterstehen, sie alle tragen gerade jetzt eine Verantwortung, deren Auswirkung die nächste Generation erleben wird.

Urs Heinz Aerni, Zürich

Europa-Allee Zürich von Urs Heinz Aerni
Uitikon-Waldegg von Urs Heinz Aerni
Zürich Leutschenbach – von Urs Heinz Aerni

 

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Tun, was geht

Die eidgenössischen Parlamentswahlen sind vorbei und die Resultate zeigen, wie Klima und Umwelt zu Themen Nummer eins wurden und man darf gespannt sein, wie sie die neue personelle Besetzung unter der Bundeshauskuppel herausfordern werden. Und jetzt kam noch von der Schweizer Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) die Info, dass in den letzten zehn Jahren ein Drittel aller Insektenarten verschwunden sind.

An der Frankfurter Buchmesse diskutierten Expertinnen und Fachleute, was denn gegen das Artensterben und die Wetterextreme unternommen werden könne und immer wieder wird die Politik in die Pflicht genommen, was ja auch ihr Job ist, aber dann stellte der Moderator die Frage, was denn jede und jeder im Alltag für den blauen Planeten tun könne und wissen Sie was, ich kann diese Frage nicht mehr hören, deshalb liste ich nun hier ein für allemal auf, was wir als Otto-Normal-Menschen zu tun mächtig sind:

1. Den Rasen nicht mehr oder nur noch wenig mähen. 2. Automotor abstellen beim Um- und Beladen. 3. Wilder und bunter Garten wachsen lassen. 4. Nicht nur Pet, Alu und Glas aus dem Müll sortieren, sondern Plastik, und die neuen Recycling-Angebote nutzen. 5. Jahreszeitgemässer Gemüseinkauf und nur noch Produkte aus der Region verspeisen und trinken. 6. Nächtliches unnötiges Dekorationslicht löschen und alle Standby-Lämpchen an Stromschienen und Elektrogeräte ausschalten. 7. Urlaubsziele an Eisenbahnschienen bevorzugen. 8. Giftfreie Wasch- und Haushaltsputzmittel verwenden. 9. Lokal statt digital einkaufen. 10. Zuwarten mit dem Kauf des neuesten Smartphones oder Tablet. 11. Kein Deluxe-Futter für Haustiere. 12. Weniger Haustiere. 13. Weniger Babys. 14. Entsprechend Abstimmen wie zum Beispiel gegen Baueinzonungen, Pestizide und für Naturpärke. 15. Mehr Leitungswasser trinken als importiertes Mineralwasser. 16. Am Tag wandern statt in der Nacht im Wald biken. 17. Weniger große Räume bewohnen. 18. Den Laubbläser in den Elektroschrott schmeissen. 19. Beim Heimatfußballclub auf Naturrasen plädieren.

Habe ich was vergessen?

Urs Heinz Aerni

Der passende Buchtipp: „Was schulden wir künftigen Generationen? Herausforderung Zukunftsethik“ von Kirsten Meyer, Reclam Verlag

Dieser Beitrag erschien auch in der Zeitung Bündner Woche.

 

Die Migranten der Lüfte

Selbst den Zugvögeln setzt der Mensch Grenzen

Der Sprung ist vielleicht ihre grösste Reise. Elf Küken springen dreissig Meter tief aus dem Festungsloch eines Schlosses im Aargau. Vor zwei Tagen aus dem Ei gepellt und schon knallen sie auf dem Kiesboden auf, wie Tennisbälle. Der Bauer staunt, die Katze faucht und ein Strassenarbeiter dreht sich um. Die Küken richten sich piepsend auf und schauen zu, wie die Mutter der elf jungen Gänsesäger vor ihnen landet. Nun watscheln alle Richtung Bach durch Gärten, Wiesen und über eine Hauptstrasse. Sie überleben alle. Vor einem Jahr schaffte es fast keiner, dafür wurden die Krähen satt. Warum nur müssen diese Wasservögel da zuoberst im Schloss nisten? Das wissen nur allfällige Götter und ein paar Wissenschaftler.

 

Windmühlen gegen den Vogelzug?

Es fehlt hier an Platz, zu beschreiben, wie Zweig- und Rohrsänger tausende Kilometer hinter sich bringen, nur um hier Insekten zu fressen und die nächste Generation ins Nest zu setzen. Alles Wirtschaftsflüchtlinge, die ohne diese Reise nicht überleben könnten. Ein komplexes Atmungssystem, das eher einem Dudelsack gleicht, befähigt Vögel zu Höchstleistungen in dünner Luft, so dass auch mal ein Himalaya-Bergsteiger Gänse über sich hinweg ziehen sieht. Vögel, die Insekten fressen statt Beeren und Samen, müssen dahin, wo auch zwischen November und März das Richtige auf dem Speiseplan steht. Die Zivilisation scheint dieses Gewohnheitsrecht verhindern zu wollen: Strommasten fangen Störche ab, Windräder schlitzen Flussseeschwalben auf, Malteser schiessen sich Feldlerchen in den Kochtopf und Alpensegler geraten in die Düsen von Flugzeugen.

 

Warum in die Ferne schweifen…

Als ich diese Zeilen einem Biologen vorlas, meinte er, der Begriff «Reisen» passe nicht zu den Vögeln, da damit eher Bildungs- oder Erholungsreisen gemeint seien. Aber reisen wir nicht oft auch aus Widerwillen? Arbeitssuche, Verwandtenbesuche, Beerdigungen bis hin zur Flucht vor Unterdrückung, Hunger und Krieg. Das Reisen zur Erholung und Weiterbildung begann erst mit den Briten im ausgehenden 19. Jahrhundert.

Vögel haben Gründe für ihre Reisen – und die ändern sich. Rotmilane stellen fest – um es in uns vertraute Worte zu fassen – dass der Schnee immer mehr ausbleibt und so die Sicht auf herumlaufende Mäuse offen lässt. Störche scheinen sich den Aufwand für ihre Reise an die Feder zu stecken, wenn die Sümpfe nicht mehr gefrieren und die Felder auch im tiefsten Winter alles bieten. Stare sind schon länger Pendler, die sich immer wieder relativ spontan für Norden und Süden entscheiden. Der Wandel des Klimas lässt also die Vögel nicht kalt, sie reagieren.

Was wird mit den Gästen aus dem Norden geschehen? Zu Tausenden bewohnen Reiherenten aus dem Norden Europas die hiesigen Seen im Winter und bieten nicht nur ein bezauberndes Bild, sondern halten die Wandermuschelbestände im Zaum. Die aus Norden kommenden Rotkehlchen ersetzen im winterlichen Wald den Gesang derjenigen, die gen Süden zogen. Im Frühling ist dann Schichtwechsel, dann, wenn die Nordischen wieder nach Hause ziehen und die Heimischen aus dem Süden kommen.

Aber auch der Ruf als Transitland für Zugvögel steht auf dem Spiel. Millionen von Bergfinken überziehen unser Land und immer wieder schmücken einige Kraniche unsere Moorgebiet bei einer Rast auf ihrer langen Reise. Vögel mit Namen wie Sichelstrandläufer oder Mornellregenpfeifer verzücken Ornithologen, wenn sie als Durchzugsgäste zu sehen sind.

 

Die Natur zieht sich in Reservate zurück

Aber der Mensch scheint alles daran zu setzen, dass Vögel nicht mehr ziehen können. Damit Vögel zwischen Skandinavien und Afrika oder Südostasien pausieren können, brauchen sie passende Orte – Seen, Feuchtgebiete, Moore, Flachgewässer, weite Brachlandschaften, Kies- und Sandbänke.

Doch die Kulturlandschaft verwandelt sich zunehmend in ausgelaugte Felder für die Massenproduktion der Nahrungsmittel- und Biogasindustrie. Die Zersiedelung der Restlandschaft um die Dörfer vernichtet grünes Land im Stundentakt. Die Gärten um die Häuschen und Wohnblocks sind ohne Naturwert: Monokultur in den Hecken, englischer Rasen, der den Boden verlehmen lässt statt Leben bringt, exotische Sträucher ohne Nutzen für Insekten und damit auch für Vögel. Der Artenvielfalt istdamit nicht gedient. Irgendwie scheint der Homo sapiens ein Instinkt zu haben, allen anderen auf dem noch blauen Planeten das Leben schwer zu machen. Gönnen wir doch den Zugvögeln die Reisefreiheit, die auch wir beanspruchen und lassen wir ihnen die Natur, die sie – und wir – so dringend brauchen!

 

 

Ein paar Fakten zum Vogelzug:

  • Noch immer ist die Navigationstechnik der Zugvögel ein weites Forschungsfeld. Wie stark die topografischen Verhältnisse oder die Sternekonstellation oder das Learning by Doing eine Rolle spielen, ist je nach Art unklar. Während die Jungtiere bei Störchen und Kranichen mit den Erwachsenen mitfliegen, muss der elternlose Kuckuck den Weg in den Süden finden.
  • Extreme Wetterverhältnisse können schon mal Vögel von der Flugroute abbringen, so kam auch schon mal aus Versehen ein Meisenwaldsänger aus Nordamerika in Westeuropa an.
  • Sogenannte Kurzzieher wie die Haubenlerche fliegen nach Südeuropa oder Nordafrika, Langzieher wie der Berglaubsänger zieht es bis südlich der Sahara, Südafrika oder gar Südostasien und Vertikalzieher bleiben zwar im Land aber überwintern eher in tieferen Lagen, so zum Beispiel der Mauerläufer.
  • Stare bringen gerne auch mal Geräusche mit aus dem Süden. So kann es vorkommen, dass die nachahmungsfreudigen Vögel einen arabisch anmutenden Geräusche-Teppich hinter die blühenden Obstbäume im Thurgauer Hinterland legen.

 

Lesetipps:

Rob Hume: Vögel – beobachten und bestimmen. Verlag Dorling, Kindersley

Daniel Lingenhöhl: Vogelwelt im Wandel – Trends und Perspektiven. Verlag Wiley-VCH

Delarze, Gonseth, Eggenberg, Vust: Lebensräume der Schweiz – Ökologie, Gefährdung, Kennarten. Verlag Ott

Dieser Beitrag wurde zuerst im Magazin ZEITPUNKT publiziert.