Ein Gastbeitrag von Corina Burkhardt
Hast du dich heute schon vor dir selbst gerechtfertigt? Dich mittels Gedankenkraft davon überzeugt, dass deine Handlung sein muss, obwohl deine Wahrnehmung einen anderen Standpunkt vertritt? Sich vor dem Gegenüber glaubhaft zu rechtfertigen ist eine Kunst, sich vor sich selbst rauszureden, die Königsdisziplin. Das merke ich spätestens, wenn die Rotweinflasche mich wiederholt anlächelt und meine Gedanken dem Gesundheitsbewusstsein den Garaus machen wollen. Soll ich auf ein drittes Glas verzichten, wenn ich doch ahne, was mein Arzt dazu sagen würde? Nein. Schließlich habe ich mehrmals gehört, dass Rotwein gesund ist. Er verfügt über einen hohen Gehalt an Polyphenolen und kann sogar Krebs vorbeugen. Das wusste bereits Opa und ist deshalb auch neunzig geworden.
Wenn eigene Wahrnehmungen kollidieren, kommt es zu einem Fest der Rechtfertigungen. Da feiern Kuchenstücke und Traumkörper plötzlich im ein und demselben Raum und bringen uns buchstäblich zur Verzweiflung. Wir versuchen Umweltbewusstsein mit dem nächsten Flug und gute Vorsätze mit Faulheit zu vereinbaren, um die negativen Gefühle irgendwie abzulegen. Dafür verteidigen wir unsere Handlung, lassen uns Ausreden einfallen und lügen, dass sich die Balken biegen. Dabei endet das Rechtfertigen erst, wenn der innere Richter mit dem Hämmerchen alle Wahrnehmungen stummgeschlagen hat, die uns kein Wohlwollen versprechen. Daraufhin folgt die Handlung ‒ und was passiert danach? Ja, genau. Das Gedankenkarussell lädt auf eine nächste Runde ein. Bitte einsteigen. Denn selbst wenn eine Rechtfertigung für den Augenblick funktioniert, folgt in den meisten Fällen eine gleiche oder ähnliche Situation, in der wir erneut mit unseren Wahrnehmungen konfrontiert werden. Es kommt zu einer fortwährenden Verhandlung, bei der die immer gleichen Argumente vorgelegt und verabschiedet werden.
Es stellt sich die Frage, ob wir womöglich zu hart mit uns ins Gericht gehen. Ich glaube, das hängt von der Dissonanz ab und welche Wichtigkeit wir Wahrnehmungen zusprechen. Dabei scheint es nicht elementar, die Rechtfertigungen komplett verschwinden zu lassen. Immerhin gewähren sie uns einen Blick auf unsere Einstellungen, Wünsche und Absichten. Führen sie jedoch stets zu einem negativen Gefühlszustand, sollten wir versuchen einsichtig zu sein, bevor wir uns möglicherweise Erfolgen, Erlebnissen oder gar Zielen berauben.
Corina Burkhardt
Corina Burkhardt wurde im Jahr 1988 in der Schweizer Stadt Baden geboren. Heute lebt sie, gemeinsam mit ihrem Partner und zwei Katzen, in der Nähe ihrer Heimatstadt. Sie studiert angewandte Psychologie und schreibt nebenbei mit großer Leidenschaft Liebes- und Jugendromane. Am liebsten vereint sie beide Genres in einer Geschichte. Außerdem ist die Autorin verrückt nach Kaffee, mag es zu reisen und kann sich stundenlang in eine Serie vertiefen. Mit ihren Lesern tauscht sie sich gerne über Facebook oder Instagram aus. Weitere Informationen unter: www.corina-burkhardt.ch