Das Ende eines Volkssports?

Die UEFA Champions League können im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, also SRF, ARD, ZDF und ORF nicht mehr gezeigt werden. Grund: zu teuer für die Sender. Auch die 1. und 2. Bundesliga können die klassischen Sender nicht mehr zeigen, zum Teil sogar auch die Zusammenfassungen nicht. Deshalb baut das Schweizer Fernsehen SRF die Berichterstattung der Super Leage (Nationaliga A) aus, wohl als Kompensation und Trost für Fußballfreunde, die sich die Abonnemente der Pay-TVs nicht leisten können oder wollen. Der gemeinsame Fußballabend mit Freunden zuhause vor dem Fernseher geht nur noch bei jemanden, der den richtigen Kanal für das gewünschte Spiel abonniert hat. UEFA baut die beiden Europaligen aus, damit sie mehr verdienen. FIFA hat seine Glaubwürdigkeit seit die Hoffnungen auf den neuen Chef sich in Luft aufgelöst haben, vollends verspielt. Privatbesitzer von Clubs leisten sich 220 Millionen Euro für einen Spieler und die Bandenwerbung in den großen Stadion wurden zu kleinen Kinos, die das richtige Produkt genau dann zeigen, wenn das Spiel daran vorbeizieht. Ein Präsident eines spanischen Clubs drohte den Steuerbehörden gemäß eines Berichtes der ARD, dass sie den Spielbetrieb einstellen würden, wenn die Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung weiterliefen.

Das, was im Spitzenfußball geschieht ist nichts anderes als ein Spiegel der restlichen Gesellschaft; es geht nicht mehr um Inhalte, es geht nur noch um den Reingewinn. Was tun wir? Mit der Faust im Sack die teuren TV-Abos bezahlen oder mit unseren Kindern auf den nächsten Regionalfußballplatz gehen um einen genau so spannenden Match zu erleben?

Hopp FC Rhäzüns!*

 

* Rhäzüns ist eine Gemeinde im Schweizer Kanton Graubünden mit beeindruckender Fußballtradition

Für Leserinnen und Leser aus Deutschland würde ich „Hopp FC 03 Radolfzell“ rufen (schönes Städtchen am Bodensee) und für Leserinnen und Leser aus Österreich rufe ich „Hopp SV Hall“ (ein Städtchen in Tirol umgeben von Bergen, mit dem ich langjährig durch das Festival Sprachsalz verbunden bin).

Der passende Buchtipp: „Spielfeld Europa: Landschaften der Fußball-Amateure“ von Hans van der Meer, Steidl Verlag

Die Kolumne erschien auch in der Zeitung BÜNDNER WOCHE

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Geld für Militär statt Bildung in der Schweiz

Heute las ich diese Schlagzeile in der Zeitung!

Die Schweiz lebt nicht von Erdöl, Diamanten oder Gold, sondern von Geist, Wissen und Kreativität. Unser „Gold“ läge in den Köpfen. Die Schweiz wird für sein direktdemokratisches System bestaunt und Bürgerinnen und Bürger stimmen regelmäßig über komplexe und landesbestimmende Themen ab, was Lese- und Entscheidungskompetenzen staatstragend wichtig machen. Und was macht die Bundespolitik wie auch zum Teil die Kantonspolitik? Sie sparen bei Bildung und Schule und investieren mehr ins Militär, Infrastrukturen und Verkehrswesen. Ohne vor allem die zuletzt beiden genannten Bereiche negieren zu wollen, zeigen solche Entscheidungen, wie die immense Wichtigkeit der Bildung und das Sprachvermögen unterschätzt oder verkannt wird. Als würde man dem Goldschürfer den Griff zur Schaufel erschweren.

 

Urs Heinz Aerni

„Die meisten Frauenfiguren habe ich im Labor entwickelt“

Nach der Lektüre des Buches stellte ich dem Autor Ernest Albert über seinen Roman „Der Metro-Medizinmann“ Fragen.

 

Urs Heinz Aerni: Der Begriff Medizinmann lässt an alte Zeiten denken, dabei spielt Ihr Roman in den 1990er Jahren. Wie weit ist für Sie dieses Jahrzehnt entfernt?

Ernest Albert: In Jahren sind die Neunziger noch nahe, kulturell kommen sie mir bereits wie eine Reise zum Mars vor. Auch meine liebe Exfreundin Seung Hee berichtet, dass sie in Bürounterhaltungen über die damalige cyberdelische Kultur Acht geben muss, keine zwanzigjährigen Kolleginnen zu erschrecken. Diese hören ja teils wieder Schlagermusik und schunkeln in Bierzelten. Aber warum auch nicht? Wenn die Jugend neokonservativ ist, haben wir sie durch Verunsicherung womöglich dazu gebracht.

Aerni: Die Raverszene wurde in den Neunzigern geboren, der Techno kam auf und an diversen Orten Zürichs gab es die illegalen Partys. Wo konnte man Sie damals antreffen?

Albert: Mit Freunden hatte ich bereits in den Achtzigern beliebte Reizüberflutungen auf House-Basis in der Zürcher Flughafenregion veranstaltet. Als die Technobewegung dann fett unterwegs war, gehörten das Brut in Zürich-Altstetten, das alte X-tra an der Hardturmstraße und das Spidergalaxy in der Geroldstraße zu unseren dauerhaft geschätzten Locations. Dies nebst unzähligen Orten für nur wenige Nächte. Wichtig waren zudem Bergfestivals wie die frühen „Visions“ von DekaDance. Sie haben meine Romanfigur „Medizinmann“ mitgeprägt, da auch sie philosophische Kraft aus der Direktbeziehung Großstadt-Hochgebirge zieht.

Aerni: Ihr Roman umkreist einen Mann namens Andres, der sich schwer tut mit der Trennung von Nadine und während er sich in die urbane Ausgeh-Szene mischt, lernt er einen Mann kennen, der sich Medizinmann nennt. Was war die Initialzündung für Ihr Buch?

Albert: Ich hatte bereits „Siggi Minne“ publiziert, einen Roman, der mich laut Rezension im Avantgarde-Medium STRAPAZIN als „bedeutenden Gegenwartsliteraten“ empfahl.

Aerni: Kompliment …

Albert: Vielen Leserinnen und Lesern war jenes Buch jedoch zu experimentell. Also ließ ich mich von Vorbildern wie Raymond Queneau und Stefano Benni zu einem urbanen Märchen inspirieren. Es sollte Tiefgang mit einer einfachen, witzigen und klaren Sprache verbinden – und wurde zum „Metro-Medizinmann“.

Aerni: Ihr Roman liest sich als Spiegel einer Liebes- und Lust-Kultur, die es heute nicht mehr zu geben scheint. Hand aufs Herz, wir beide sind älter und nicht mehr so in der Szene drin; vielleicht gibt es ihn doch noch, den 90er Groove und wir checken es einfach nicht mehr?

Albert: Vielen Dank für Ihre Frage ob das Buch, wenn ich Sie richtig verstehe, nostalgisch motiviert ist.

Aerni: In etwa, ja.

Albert: Ganz klar nein. Alle Gäste unserer Zürcher Buchvernissage waren ja anschließend im „Haus von Klaus“ eingeladen, einem der aktuell angenehmsten Clubs im deutschen Sprachraum. Unter den Freunden, die die Vernissage bereicherten, waren unter anderem Thomas Hess, der kürzlich mit seinen Kollegen die Bar 3000 über der „Zukunft“ analog gerockt hat, und Marius Neukom, der gerade einem der groundigsten Zürcher Orte neues digitales Leben einhaucht – dem ehemaligen Klubi an der Wasserwerkstraße. Über fortgesetztes Grooven freue ich mich also einfach. Dies erstens für mich und meine Liebsten, zweitens für die ehemaligen Kids, die etwas später gekommen sind und drittens für alle Leser, die damit einen natürlicheren Zugang zum Roman haben. Um übrigens die Neunzigerjahre pauschal nostalgisch zu verklären, sind sie mir zu zwiespältig. Das gleiche gilt für Zürich, auch wenn es mir ans Herz gewachsen ist.

Aerni: Ihre Fabulier-Lust ist fast in jeder Zeile spürbar, auch lieben Sie Dialoge. Wie sind Sie vorgegangen, wie haben Sie Ihre Figuren gefunden?

Albert: Die meisten Frauenfiguren habe ich im Labor entwickelt, indem ich ehemalige Freundinnen auf einer interessanten Entwicklungsstufe eingefroren und dann nach einem Steigerungsplan sozusagen an den Buchhelden verfüttert habe. Die meisten Männerfiguren sind abgespaltene Persönlichkeitsanteile von mir. Ich habe die Figuren miteinander quasseln lassen, was die Dialoge ergeben hat. Es gibt aber auch Menschen, die behaupten würden, dass alles, was ich soeben geäußert habe, ein einziger Schwindel ist, zur Unterhaltung erfunden.

Aerni: Wenn ich ein Bild mit einem lesenden Menschen mit Ihrem Buch in den Händen malen würde, wie müsste es aussehen?

Albert: Es müsste aussehen wie einst ein gefesselter Leser des „Zauberbergs“, nachdem dieser Belle-Epoque-Roman endlich, doch noch und in einer längst veränderten Epoche erschienen war, nämlich erst 1924.

Aerni: Wie würde Ihr Roman heißen, wenn Sie nun unser jetziges Jahrzehnt als Kulisse bräuchten?

Albert: Einen Titel für diesen Fall zu improvisieren scheint mir etwas riskant. Aber bezüglich der Gattung könnte ich, da ich inzwischen auch in Wien wohne, urleicht auf den Satire-Geschmack kommen.

Infokasten:

Ernest Albert wurde 1967 in Kalifornien geboren. Er lebt heute als Autor in Zürich und Wien, schrieb früher für das Magazin STRAPAZIN. In Zürich studierte Albert Vergleichende Literaturwissenschaft und promovierte als Soziologe zum Werte- und Gesellschaftswandel. Sein Roman „Der Metro-Medizinmann“ ist im Verlag C. F. Portmann Zürich erschienen: ISBN 978-3-906014-32-6, CHF 28.80. Euro 25,70