Wandel in der Geselligkeit?
Aber fragen kann man ja, nicht wahr? Es müssten einfach die richtigen Fragen sein, passend und ehrlich müssten sie sein. Das gilt auch für Versprechungen. Sie sollten realistisch sein und nicht nur Verheißungen bleiben. Versprechungen und Fragen haben etwas Offenes an sich; sie erzeugen Spannung und Erwartung. Wenn mir etwas versprochen wird, dann bin ich gespannt, ob das eintrifft. Wenn Fragen gestellt werden, dann frage ich mich, ob auch mit Geduld zum Zuhören gerechnet werden darf.
Bevor es zu den konkreten Fragen geht, muss auch zur Kenntnis genommen werden, dass generell die Geselligkeits-Kultur sehr im Wandel ist. Mobile Technologien und neue Gesetze greifen sehr in den Alltag des Beisammenseins ein.
Ein Beispiel gefällig?
Ich bin Nichtraucher seit Geburt. Und gegen das Rauchverbot in öffentlichen Lokalen habe ich nichts, im Prinzip. Aber es verändert etwas: Wir sitzen in einer gemütlichen Runde und debattieren über Rechtsverfahren gegen Immobilien-Haie und übermütige Politiker. Es wird laut am Tisch, aber es wird auch gelacht. Da sagt plötzlich eine Frau: «Ich muss eine rauchen.» Sofort sagen zwei andere: «Ich komme mit.»
So stehen die drei auf, ziehen sich die Mäntel über, holen Zigaretten raus und verschwinden in der Nacht. Nun sitzen wir, die Nichtrauchenden, am Tisch mit den Lücken zwischen uns, sehen uns an und fragen: «Und sonst?»
Die Stimmung ist weg, in sich eingesackt. Die Raucher lachen da draußen, feiern ihre Solidarität untereinander, und als sie wieder reinkommen, sagen die ersten Nichtraucher, dass sie langsam aufbrechen müssten. Der Abend ist zu Ende. Gesetze prägen soziale Gepflogenheiten. Oder wie sehen Sie das?
Zurück zum Fragenstellen. Fragen gehören zum wichtigsten Motor eines Gespräches. Der Fragende will etwas wissen, möchte mehr erfahren und ist offen für eine andere Perspektive. In der Regel. Fragen um des Wissens willen ist eine Domain der Forscher, Journalisten und Kinder.
Die Frage verliert jedoch an Wert und Nutzung, je weiter es in Richtung Politik, Hochfinanz und Religion geht. Oder haben Sie schon einmal in der TV-Sendung «Anne Will» Sätze gehört wie: «Das ist eine gute Frage, über die wir nachdenken müssen.» Oder: «Wie sehen Sie das denn?» Oder: «Welchen Vorschlag hätten Sie denn für dieses Problem?»
Spannung in Monologen
Rhetorische Fragen gehören in den Bereich PR, Werbung und Balz. Sie erzeugen Spannung in Monologen über die eigenen Anschauungen und fest betonierten Weltbilder. Fragen werden oft auch gestellt, um selber von sich reden zu können.
Ein Beispiel gefällig?
Im Bus unterhalten sich zwei Damen. Nach der Frage: «Wie geht es Dir?», legen sie los. Die eine berichtet von einer entzündeten Sehne, die andere klagt über unglaubliche Migräne bei Föhn. Die Migräne wird jedoch von Durchblutungsstörungen übertrumpft, die wiederum durch eine Gürtelrose pariert werden. Müssten sie nicht aussteigen, so hätten sich die beiden gegenseitig in die Intensivstation geplaudert.
Reden wir?
Kommunikation ist ein großes Wort. Der Begriff beinhaltet bekanntlich die Kommune, eine Gemeinschaft von Menschen mit gleichen oder ähnlichen Ansinnen und Zielen. Eine solche Gemeinschaft sind wir hier in Graubünden, oder als Schweizer, oder als Unternehmer, oder als Gastronomen, oder als Wanderer. Der Austausch innerhalb solcher Gruppen ist für das Überleben unverzichtbar. Mit anderen Worten, ohne eine lebendige Diskussion mit dem Ziel, in der optimalen Mitte zu landen, wäre der Untergang programmiert.
Zuerst schließen, dann fragen?
Eine Erfahrung machte die Schweizerische Post AG, einst der gelbe Riese mit dem Grundversorgungsauftrag für ein top funktionierendes Land. Als der Entschluss bekannt wurde, dass die Filiale wegen Unrentabilität beim Helvetiaplatz in Zürich geschlossen werden soll, gingen die Leute aller parteilichen Farben aus Protest auf die Straße. Lernte die Post etwas daraus? Anscheinend, denn für die nächste geplante Schalterschließung veröffentlichte sie in einer Zürcher Regionalzeitung ein Inserat, in dem sie nach Meinungen und Feedbacks der dortigen Kundschaft fragte. Warum nicht gleich so?
Die Qualität einer couragierten Zivilgesellschaft zeichnet sich nicht durch das versprochene Blaue vom Himmel aus, sondern dass sie kritisches Nachfragen weder als lästig noch unnötig taxiert.
Haben Sie bis hierher gelesen? Das ist nett von Ihnen. Sie gehören also nicht zu den Schnellklickern oder Schnellblätterern. Dass es das noch gibt! Oder haben Sie den mittleren Teil übersprungen? Na? Hand aufs Herz. Sie sahen weiter unten neue Abschnitte, die das Ganze dem Ende näherbringen, stimmt es? Ok, ich bin ja auch ein ungeduldiger Mensch. Oben im Text ging es um den Sinn des Fragens und hier werden nun ein paar gestellt.
Keine Zukunft ohne Fragen
Der Schweizer Kanton Graubünden möchte die olympischen Winterspiele. Keine Frage, der Alpenkanton wäre der perfekte Gastgeber für die Olympischen Winterspiele. Reden wir aber noch von der gleichen IOC-Philosophie wie damals in Lillehammer anno 1994? Oder gesellt sich das IOC heute nicht zu den Rendite-Giganten à la Uefa oder Fifa ohne Feingefühl für das lokale Mögliche, aber dafür mit Wachstumsgier?
Befürworter versprechen, dass das investierte Geld wieder eingespielt werde und dass Peking und München heute noch davon profitierten. Sind Vergleiche mit Peking legitim, in Anbetracht des undemokratischen Umgangs mit der Bevölkerung und des Umlands? Kann München mit Graubünden verglichen werden, wenn die Stadt selber mehr Einwohner hat als der Kanton Zürich und das Land Bayern größer ist als die ganze Schweiz?
Fragen zwischen den Jahren
«Der Vorhang fällt, und alle Fragen sind offen.» Frei nach Bertolt Brecht. Wie zum Beispiel diese Frage: Ist es sinnvoll, auf bautechnische Pläne des Gigantismus zu setzen, wenn deren Planer noch viele Rechnungen offen hat? Bestünden Alternativen für Graubünden, statt den urbanen Lärm in unsere Täler zu holen? Hätte der Kanton mehr kreatives Potenzial, wenn die einzelnen Talschaften und Dörfer sich vom kleinen Lokalpatriotismus verabschiedeten? Wäre ein neuer Nationalpark eventuell ein Geldsegen gewesen, wenn der ganze Kanton den betroffenen Gemeinden solidarisch den Rücken gestärkt hätte?
Hätte der Kanton eine glänzende Zukunft, wenn er als Ganzes mit den Stärken der Hot Spots ein Gesamtlabel definieren würde? Haben wir den Mut, neue Konzepte zu entwickeln, die nicht genau gleich aussehen wie die Tourismusprojekte in Garmisch-Partenkirchen, Sölden oder Chambéry? Und wäre es nicht an der Zeit, den Begriff «Wachstum» in der Qualität zu definieren, als immer und ewig in der Dimension und der Höhe des Umsatzes? Wird 2017 besser als 2016?
Lieber Leser, liebe Leserin, ich bin gespannt auf die Antworten. Und uns allen wünsche ich ein gutes neues Jahr.
Urs Heinz Aerni