Eine Rede zur aktuellen Lage, gedruckt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie lesen hier Zeilen, die auch als Rede ausgedruckt werden kann. Sie darf öffentlich vorgelesen werden ohne Probleme mit dem Urheberrecht zu bekommen, ehrlich.
Eine Rede oder eben auch einen Text zu beginnen, zur Befindlichkeit des Landes, ist fürwahr kein Kinderspiel. Zumal bis anhin abertausende Zeilen verfasst wurden mit Rat, Anliegen, Empfehlungen und Mahnungen an uns alle und keiner weiß, ob davon irgendwie und irgendwo Einfluss hatte in der Gestaltung der Gesellschaft und Politik. Wie viele Politikerinnen, Funktionäre und Persönlichkeiten des öffentlichen Interesses standen hinter dem Rednerpult, stützten sich mit beiden Armen ab, ließen Blicke oberhalb der Brille ins Publikum schweifen und erklärten, was zu tun sei oder was falsch läuft. Sicher fällt Ihnen auch immer auf, wie viele Rednerinnen und Redner am Mikrofon rummachen. Einmal wird es nach oben korrigiert um dann gleich wieder es nach unten zu drücken. Aber, meine Damen und Herren, Sie stellen fest, ich komme vom Thema ab.
Packen wir es an. Wie steht es mit uns in der Schweiz, im Hochsommer 2016? Nehmen wir mal das Geld. An einer Veranstaltung zusammen mit Hanspeter Müller-Drossaart stellten wir dem Publikum in einem Kellertheater im Aargau die Frage, wer 30.000 Franken vom Konto abheben könne ohne gleich ins Minus zu geraten. Überraschend viele Anwesende hoben die Hand. Alle Achtung, nicht? Kommen wir zum Tourismus. Der Ruf der Schweiz ist fabelhaft. Soeben traf ich Gäste aus Köln und Gäste aus Stans auf der Lenzerheide in Graubünden und beide gaben an, dass sie gerne mehr Geld ausgäben, wenn der Service stimme, die Herzlichkeit zu spüren und die Natur intakt sei. Ich schüttelte allen beherzt die Hände und offerierte einen Drink.
Wie steht es um die Politik? In den Parlamenten in Bern und in den Kantonen sind ziemlich alle Farben und Facetten der Parteien präsent und engagiert. Also keine Gefahr von Radikalisierung oder Übergewichtung von seltsamen Absichten und Machenschaften. Schaut gut aus, oder?
Und beim Service Public können wir doch auch gute Noten geben. Einverstanden? Die Ferienumleitung der Post funktioniert perfekt und die Damen lächeln in der Regel immer wenn man sie am Schalter besucht.
Kommen wir vom Gelben zum Grünen Riesen, die Armee. Trotz ständiger Debatten über Neuausrichtung ohne Gripen tut sich doch was. Wir sehen bei Großanlässen – zum Beispiel Bike-Weltmeisterschaften – wie junge kräftige Männer in Tarn-Tenüs Leitplanken aufstellen oder genießen wir den Ausbau der Luftpolizei, damit sie nicht nur zu Bürozeiten funktioniert, so dass sie sich tags darauf für den abgegangenen Überschallknall bei einem „Heißen Einsatz“ um Entschuldigung bitten müssen.
Die Bahnen geben genauso ihr Bestes, die Durchsagen am Bahnsteig sind deutlich verständlich, der Swisspass zeigt sich in richtig schweizerischem Rot und die Bahnbegleitung fragt in der Regel fröhlich nach dem Fahrschein.
Und Hand aufs Herz, die SRF macht ja so viel richtig, finde ich. Bei Meteo werden Ortschaften angezeigt, von denen man nie was gehört hat. Wenn Moderatorinnen ohnmächtig werden, erscheinen herrliche Landschaften und im Radio kümmert man sich für alle Bedürfnisse, von den Senioren (SRF1) zu den Kulturfreaks (SRF2 Kultur) bis zur wochendsüchtigen jungen Leute, die etwas andere Musik möchten als bei den Privatsendern (SRF3). Nicht zu vergessen die Tradition der Landeshymne um Mitternacht, die jeden Nachtgänger in sich kehren lässt.
Und was den finanziell gesicherten Lebensabend angeht, Klagen sind doch angesichts bei den Sicherheitsstufen von der ersten bis zur dritten Säule samt Sozialämtern gänzlich unangebracht. Die Ärztedichte ist hoch, das rentable Gesundheitssystem ist in famoser Form, die Freundlichkeiten der Polizisten und Grenzwächter erfreuen die Einwanderinnen und Einwanderer, der überaktive Straßenunterhalt bringt Staus und Leben in den Autos. Und die Regelmäßigkeit der Nachrichten, die uns mit gelungenen Strategieausrichtungen der Banken um sich selber retten zu können, beruhigen auch immer wieder.
Aber nun soll mit dem Loben hier Schluss sein.
Denn, sehr verehrte Damen und Herren, ein Vorwärtskommen ist nur gewährleistet, wenn die Mängel, die Probleme und die besorgniserregenden Tendenzen genauso gebührend unsere Aufmerksamkeit bekommen, und um die ginge es hier jetzt.
Statistiken belegen allerdings, dass solche Textlängen fast nie digital gelesen werden. Deshalb überlasse ich Ihnen den zweiten Teil der Rede zur freien Gestaltung.
Liebe Rednerinnen und Redner, ich möchte nochmals betonen, dass Sie die bis hierher getippte Rede als Rede reden können und viel Freude beim Vollenden des zweiten Teils.
Und uns allen wünsche ich, dass das Gute, das funktioniert, so bleibt.
Urs Heinz Aerni