Die Kultur wird vermehrt als Wirtschafts- und Standortfaktor anerkannt, doch auch hier gibt es Arbeitslose. Ihnen wird im Kulturmarkt in Zürich Wiedikon geholfen. Ein Interview mit Geschäftsführer Dieter Sinniger.
Dieter Sinniger: Der Kulturmarkt im Zwinglihaus bietet ein Qualifizierungsprogramm für arbeitslos gemeldete Kulturschaffende an. Wie kam es zu dieser Idee?
Menschen in künstlerischen und kreativen Berufen stehen vor ganz spezifischen Fragestellungen der Existenzsicherung. Wir entwickeln mit den stellensuchenden Kulturschaffenden Bewerbungsstrategien für den meist verdeckten Arbeitsmarkt, wir erarbei- ten ein persönliches Portfolio, das den heutigen Ansprüchen genügt, und wir überprüfen die Möglichkeiten eines zweiten beruflichen Standbeins.
Mit wie viel Zeit muss da gerechnet werden?
Dies ist ein sechsmonatiger Prozess, der eine vertiefte Standortbestimmung beinhaltet und im Idealfall in eine geklärte Zukunftsperspektive mündet.
Also, die Bedingung ist, dass die Kulturschaffenden offiziell als arbeitslos gemeldet sind. Sie sprechen alle Disziplinen an, von Schauspielern über Musikerinnen bis hin zu Kostümbildnern oder Autorinnen.
Unser Programm hat einen Leistungsauftrag vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und ist über die Arbeitslosenkasse finanziert. Deshalb besteht die Voraussetzung, dass Kulturschaffende bei einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) gemeldet sein müssen. Wir bieten auch Coachings außerhalb dieses Rahmens an, allerdings ist das dann mit Kosten für die Kulturschaffenden verbunden.
Aus welchem Kulturbereich kommen denn die meisten Anfragen?
Zu uns kommen mehrheitlich darstellende Künstlerinnen und Künstler aus Theater und Tanz, aber auch zahlreiche Theaterschaffende aus den Backstage-Bereichen sowie Musikerinnen und Veranstaltungstechniker.
Die Kulturförderung kommt aus wirtschaftlichen Gründen und je nach politischer Gesinnung der Regierungen unter Druck. Wie erleben Sie diesen Trend in Ihrem Alltag?
Die Sparmaßnahmen machen sich langsam, aber sicher bemerkbar. Es trifft vorab die freischaffenden Künstlerinnen und Künstler, die es zunehmend schwerer haben, ihre Projekte zu finanzieren. Das sind vielfach genau diejenigen Kulturschaffenden, die in keinem Anstellungsverhältnis sind und daher nicht offiziell arbeitslos werden. Vielfach bedeutet dies eine anstrengende Auseinandersetzung mit dem RAV und den Behörden, um Ansprüche an Arbeitslosengelder geltend zu machen.
Das Ziel besteht ja darin, dass die Künstlerinnen und Künstler wieder zu- rück zu bezahlten Engagements kommen. Wie würden Sie die Herausforderungen beschreiben, da ja das Eigenmar- keting nicht jedermanns Sache ist?
Das ist ein ganz wichtiges Element, den eigenen Marktwert zu bestim- men und dann selbstbewusst, mit einem hochstehenden Portfolio Bewerbungskontakte zu knüpfen. Daran arbeiten wir stark, auch das ist ein längerer Prozess.
Wo ist eigentlich die Grenze zwischen Kulturschaffenden und verwandten Berufen? Dürfte ich als arbeitsloser Journalist bei Ihnen anklopfen?
Unser Qualifizierungsprogramm richtet sich nicht nur an Kulturschaffende. Wir haben insgesamt neun verschiedene Fachbereiche. Sie als Journalist fänden allenfalls im Fachbe- reich Marketingkommunikation Unterschlupf. Wie immer würden wir vorher mit Ihnen genau abklären, ob wir gegenseitig das Richtige bieten können, damit ein Programmeinsatz Sinn macht.
Die Kreativ- und Kulturwirtschaft ist ein weites Feld, wo sehen Sie Chancen für Menschen, die sich hier wohlfühlen, für die berufliche Zukunft?
Ein weites Feld, ja, und ein zunehmend wichtigeres! So langsam kommt auch in Politik und Verwaltung an, dass die Kultur ein absolut zentraler Wirtschafts- und Standortfaktor ist, dessen Wert sehr hoch an- gesetzt werden muss. Dazu gibt es ja entsprechende Studien.
Unsere Welt ohne Kunst wäre …
… öd!
Infos:
40 Stellensuchende angestellt
Der Kulturmarkt an der Aemtlerstraße 23 in Zürich ist ein Veranstaltungshaus mit Restaurant; 15 Angestellte arbeiten hier, und rund 40 Stellensuchenden sind vorübergehend engagiert. Auch sind Lokale mit der ganzen Infrastruktur für Events zu mieten. Infos unter http://www.kulturmarkt.ch
Gute Sache! Für freischaffende Künstler ist eine Meldung bei RAV oder Arbeitsamt allerdings nahezu utopisch.
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