Wieso nicht Bremen?

Der Schweizer Kabarettist, Literat und Schauspieler Jens Nielsen mit dänischen Wurzeln pendelt zwischen Berlin und Zürich. Wir stellen ihm Fragen.

Urs Heinz Aerni: Sie lebten in Berlin um zu Schreiben … wieso nicht … zum Beispiel Bremen?

Jens Nielsen: Ich habe Angst vor Bremen. In Berlin kann ich gut arbeiten. Ich habe immer wieder viel Zeit in dieser Stadt verbracht, und nicht wenige meiner Texte sind dort entstanden oder fertig geworden. Abgesehen davon ist es auch die Großstadt an sich, die man als Schweizer Künstler regelmäßig bewohnen sollte. Wir haben keine eigene. Wenn Bellinzona fünf Millionen Einwohner hätte, würde ich ab und zu auch dorthin. Abgesehen davon, ein bis an den Rand zugebautes Tessin wäre städtebaulich zwar interessant, aber ökologisch eine Höllentat. Daher bin ich froh, dass wir keine Großstadt haben. Vielleicht werde ich aber trotzdem einmal nach Bremen fahren. Wer weiß, vielleicht für ein Antipanik-Seminar.

Aerni: Wo sehen Sie den Unterschied zwischen dem Schweizer und dem Deutschen Publikum?

Nielsen: Das deutsche Publikum ist größer. Und vor Jahren sagte mir eine Deutsche Agentin voraus, meine Programme würden vor allem dem Publikum nördlich des Weißwurst-Gürtels gefallen. Das leuchtete mir insofern ein, als ich humoristisch tatsächlich über der Gürtellinie arbeite. Inzwischen weiß ich aber, der wichtige und inspirierende Unterschied besteht zwischen einem Publikum von heute Abend und dem von gestern oder morgen. Wo ich spiele, unterliegt vor allem diesem universalen Unterschied. Immerhin, je nördlicher ein Auftritt, umso mehr kann ich von meiner Bahncard 50 profitieren.

Aerni: Das Schweizer Boulevard-Blatt BLICK bemerkte, dass Sie stets ein begeistertes Publikum hinterlassen. Machen Kritiken Presse nervös?

Nielsen: Meine Zustimmungsrate während einer Vorstellung liegt in der Tat bei 90 Prozent. Nehmen wir noch an, ich übertreibe unbewusst mit 10 Prozent zu meinen Gunsten. Das bringt mich zu einer 80/20 Rate. Diese Zahl ist möglicherweise genau, sagt aber nichts aus über die Anzahl Zuschauer. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass diese je auf kommerzielle Dimension anwachsen wird. Von der Kritik indessen erhoffe ich zu viel, wie wahrscheinlich viele Künstler. Ich lese eine Rezension deshalb mit aufgesetzter Nonchalance. Die bricht aber zusammen. Ist die Kritik schlecht, verdräng ich sie, oder esse die Zeitung auf, in der sie abgedruckt ist. Online geht das leider nicht mehr gut, notfalls aber schon.

Aerni: Und wenn die…

Nielsen: …ist die Kritik euphorisch, finde ich sie angemessen. Dann ruf ich jemand an und erwähne den Artikel nebenbei. Oft glaube ich aber auch, die schlechte Rezension wäre die Wahrheit. Und die gute eine Illusion oder ein Zufall. Ich erwarte nicht, dass sich der Widerspruch je auflöst.

 

Weitere Infos zu seinem letzten Buch:

Besuchen Sie die Website von Jens Nielsen…

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Veröffentlicht von

Urs Heinz Aerni

Urs Heinz Aerni wirkt als freischaffender Journalist BR ZPV, Kommunikationsberater, Kulturvermittler und Vogelbeobachter. Weitere Informationen: www.ursheinzaerni.com

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