Wer soll ins Studio?

Das Fernsehen SWR plant Sondersendungen zu den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Die AfD, FDP und Linke wurden nicht eingeladen, obwohl diese Parteien ebenfalls in den Wahlkampf einsteigen. Wir fragten direkt bei SWR in Stuttgart nach. Hier lesen Sie die Antwort mit unseren Fragen, die wir dazwischen stellen.

Diese Frage schickten wir per E-Mail nach Stuttgart:

Sehr geehrte Damen und Herren, was waren Ihre Überlegungen beim Entscheid, die AfD, Linke und die FDP nicht zu den Wahlkampfsendungen einzuladen?

Die Antwort aus Stuttgart ebenfalls als E-Mail:

 

Guten Tag, Herr Aerni, haben Sie vielen Dank für Ihre Zuschrift bezüglich unserer geplanten Wahlberichterstattung im Vorfeld der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Von Anfang an stand für den SWR die Frage im Mittelpunkt, wie wir unsere Zuschauerinnen und Zuschauer bestmöglich über die relevanten Themen und Positionen aller relevanten Parteien informieren können, um so einen entscheidenden Beitrag zur Meinungsbildung zu leisten – ein Konzept also, das unserem journalistischen Auftrag gerecht wird. Dabei muss der SWR auch juristischen Grundsätzen gerecht werden, z.B. dem der abgestuften Chancengleichheit.

SONDIERUNG: Was heißt das?

Das heißt, wir können nicht nach freiem Belieben entscheiden, welche Parteien wir in unserer Berichterstattung berücksichtigen, sondern müssen in unsere Entscheidung deren Bedeutung einbeziehen.

SONDIERUNG: Wie wird diese „Bedeutung“ gemessen?

Dabei stehen an vorderer Stelle immer die Wahlergebnisse der letzten Wahl, aber auch Faktoren wie der Organisationsgrad (Landesverbände, Mitgliederzahl etc.), Umfrageergebnisse oder die Frage, in welchen Parlamenten die Parteien bereits vertreten sind. Genau dieser Kriterienkatalog war auch bei allen vorangegangenen Wahlen entscheidend. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hatte der SWR im Sommer 2015 ein journalistisches Gesamtkonzept entwickelt und der Öffentlichkeit präsentiert.

Ein Bestandteil dieses Gesamtkonzepts war die so genannte „Elefantenrunde“ drei Tage vor dem Wahltermin. Zu dieser „Elefantenrunde“ wollte der SWR neben den Spitzenkandidaten der derzeit im Landtag vertreten Parteien auch die Spitzenkandidaten der Parteien einladen, die nach dem Gebot der abgestuften Chancengleichheit berücksichtigt werden müssen – sei es durch hohe Umfrageergebnisse, durch die Präsenz in anderen Parlamenten, die Anzahl der Parteimitglieder etc. Nach diesen Kriterien war in diesem Jahr auch die AfD zu berücksichtigen, auch wenn sie momentan nicht in den Landtagen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz vertreten ist.

SONDIERUNG: Wir vertreten nicht die Interessen der AfD, der Linken oder der FDP aber wieso wurden diese Parteien dennoch ausgeschlossen?

Da sowohl die SPD als auch die Grünen dem SWR gegenüber definitiv ausgeschlossen haben, gemeinsam mit der AfD in jedweder Diskussionsrunde aufzutreten, mussten wir eine Neujustierung unseres Gesamtkonzeptes vornehmen.

SONDIERUNG: Könnte man dies nun nicht als „Druck von außen“ definieren?

Eine Diskussionsrunde, an der die derzeitigen Regierungsparteien nicht teilnehmen, wäre dem Informationsauftrag des SWR ebenso wenig gerecht geworden, wie eine komplette Absage der Sendung.

BERGLINK: Mit anderen Worten, der SWR ist in der Klemme? Parteien bestimmen also doch, wer was im öffentlich rechtlichen Rundfunkt zu sagen hat? Und wie sieht es aus der journalistischen Sichtweise aus?

Gleichzeitig wäre es aber journalistisch wie juristisch falsch gewesen, die AfD im Zuge der abgestuften Chancengleichheit in der Vorwahlberichterstattung nicht zu berücksichtigen.

BERGLINK: Eben. Und Gegnern kann man nur antworten, wenn man weiß, für was sie stehen?

Zum politischen Diskurs gehört auch die Auseinandersetzung mit gegensätzlichen Positionen.

BERGLINK: Also, ist es denn legitim, wenn Parteien die Besetzung im Studio vorschreiben?

Wichtig ist uns in diesem Zusammenhang zu betonen, dass der SWR zu keinem Zeitpunkt politischem Druck ausgesetzt waren, sondern eine von politischen Einflüssen völlig unabhängige Entscheidung getroffen hat.

SONDIERUNG: Nun, weiter oben haben wir jedoch gelesen, dass sich die SPD und die Grünen sich weigern mit der AfD im gleichen Studio zu stehen…

Wir haben allein entlang der gegebenen Faktenlage ein journalistisch überzeugendes sowie am Gebot der abgestuften Chancengleichheit orientiertes Angebot zu erstellen gehabt.

SONDIERUNG: Das ist nun etwas schwer zu verstehen, oder?

Vor diesem Hintergrund haben wir unser neujustiertes journalistisches Gesamtkonzept vorgestellt. Neben der umfassenden Berichterstattung in Regelsendungen und zahlreichen Sondersendungen in Hörfunk, Fernsehen und Online wird es einen großen Wahlabend drei Tage vor der Wahl in den Landesprogrammen des SWR Fernsehen geben. Am Donnerstag, 10. März 2016, sendet der SWR ab 20:15 Uhr verschiedene Gesprächssendungen sowohl mit den Parteien, die in den Landtagen vertreten sind, als auch mit den Parteien, denen Chancen zugerechnet werden, neu in die Landtage von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz einzuziehen. Bei dieser Sendung kommen folglich in Baden-Württemberg die Linke und die AfD zum Zuge, in Rheinland-Pfalz die FDP, Die Linke und die AfD. Das journalistische Gesamtkonzept bietet Wählerinnen und Wählern also einen umfassenden Überblick über alle relevanten Meinungen und Positionen im Südwesten und leistet so einen maßgeblichen Beitrag zur Meinungsbildung.

SONDIERUNG: Verstehen wir das richtig: Obwohl in beiden Bundesländern alle Parteien in den Wahlkampf steigen, werden nicht in beiden Ländern auch alle angehört werden?

Mit diesen Sondersendungen in den Landesprogrammen des SWR Fernsehen werden wir sowohl dem Gebot unserer politischen Neutralität als auch der abgestuften Chancengleichheit gerecht. Gleichzeitig sind wir davon überzeugt, dass der SWR mit diesem Konzept den Wählerinnen und Wählern drei Tage vor der Landtagswahl alle Positionen der relevanten Parteien vorstellen, diese analysieren und auch kritisch nachfragen kann. Er leistet damit einen entscheidenden Beitrag zur Meinungsbildung und erfüllt seinen öffentlich rechtlichen Informationsauftrag.

SONDIERUNG: Frage: Ist es nicht öffentlich relevant, von allen im Wahlkampf stehenden Parteien zu erfahren, was sie vertreten? Ist es nicht seltsam, dass ein Wähler in einem Bundesland nichts von einer Partei erfahren, während der Wähler im Nachbarland dies tun kann?

Dabei stellen diese Sondersendungen nur einen Teil des journalistischen Gesamtkonzepts der Berichterstattung zu den Landtagswahlen dar.

SONDIERUNG: Warum werden nun diese zur Diskussion stehenden Sondersendungen hier wieder nur als „Teil des journalistischen Gesamtkonzepts“ gesehen? Sollten nicht gerade solche Sendungen erst recht vor wichtigen Wahlen und angesichts des brisanten Tagesgeschehens dem Gesamtkonzept unterstellt werden? 

Natürlich werden wir in zahlreichen weiteren Sondersendungen und Angeboten in Hörfunk, Fernsehen und Online umfassend über die wichtigsten Themen der Landtagswahlen berichten, so dass die Wählerinnen und Wähler auf der Grundlage der SWR-Berichterstattung eine fundierte Wahlentscheidung treffen können.

SONDIERUNG: Wäre es nicht logisch, alle Spieler eines Spiels vorzustellen? Besteht nicht die Gefahr, durch Ausschluss von Meinungen, den Konsumenten zu bevormunden oder gar zu verunsichern? Kann es nicht sein, dass dadurch die Qualität der Meinungsbildung leidet, wenn der Wähler nicht die Chancen des Vergleichs bekommt? Ist es nicht der Auftrag der öffentlich rechtlichen Medien, den Gebührenzahler über alle Facetten von Meinungen im direkten Vergleich vorzustellen?

Freundliche Grüße, Südwestrundfunk, Hörer- und Zuschauerservice, 70150 Stuttgart

SONDIERUNG: Freundliche Grüße und danke für Ihre Bemühungen, Urs Heinz Aerni, SONDIERUNG.COM

 

Info: Die Kommentare und Fragen wurden in die Antwort des SWR eingefügt.

Zum Weiterlesen: Kommentar in der FAZBericht in der STUTTGARTER ZEITUNGBericht im TAGESSPIEGEL 

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SBB streicht die Minibar

Die Abschaffung der Minibar bei der SBB könnten auch andere Gründe haben. Vor kurzem kam ich mit einem Minibar-Mann ins Gespräch und er erzählte mir aus seinem Alltag: Er musste von Zürich nach Genf fahren um dort seine Wägelchen in Empfang zu nehmen damit er den Dienst antreten konnte. Oft hatte er mehrmals am Tag bis zweistündige Pausen irgendwo auf einem Bahnhof. Mehrmals kam es vor, dass er ein Wagen halb leer, also nicht mit vollem Sortiment entgegennehmen musste und so dementsprechend weniger verkaufen konnte. Er erhielt vom Arbeitgeber schon Briefe, auf denen zwar seine Adresse stand aber an einen anderen Empfänger gerichtet waren.

Könnte ein Teil der Unrentabilität durch eine ineffiziente innerbetriebliche Organisation und Struktur hausgemacht sein? Wurde einer Optimierung der Vertriebs- und Personalstruktur sowie des Sortiments vorher überhaupt eine Chance gegeben? Die Minibar gehört zu einem Gesamtkonzept des Komforts für Bahnreisende und wenn jeder Deut in sich rentieren soll, so sei doch auch gleich das Licht runtergedimmt oder ganz gelöscht, da ja eh fast jeder Fahrgast in sein Smartphone starrt. Und zum Beispiel die ÖBB? Antwort von Sonja Horner von der ÖBB: „Bei uns ist beim mobilen Bordservice keine Abschaffung oder Änderung geplant. In Österreich sind die Kunden mit dem Catering-Angebot zufrieden, wir wollen das Reisen weiterhin so komfortabel wie möglich gestalten. Wir werden das Angebot, auch für Fernzüge in die Schweiz, beibehalten. In der ersten Klasse wird das Essen direkt zum Sitzplatz gebracht.“ Das ist Reisen im 21. Jahrhundert.

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Ein weiteres Kapitel dazu:

Vor kurzem blieb ein Schnellzug von Zürich nach Locarno vor Bellinzona mitten auf der Strecke stehen. Grund: Stromausfall. Auch auf diesem Zug gab es weder ein Restaurant noch eine Minibar. Die Gäste mussten ohne Mindestverpflegung ausharren. Eine Anfrage an die SBB ergab diese Antwort, die wir nun hier mit eingefügten Kommentaren veröffentlichen:

 

Die Antwort vom Kundendienst SBB Zürich:

Sehr geehrter Herr Aerni

Besten Dank für Ihren Brief vom 8. März. Wir bedauern Ihre unglücklich verlaufene Fahrt vom 5. März nach Locarno. Wir entschuldigen uns für die entstandenen Unannehmlichkeiten.

Aerni: Sich selber entschuldigen geht übrigens, nicht, man kann aber darum bitten.

Wie Sie uns mitteilen, müsste auf Zügen mit längeren Distanzen ein Mindestangebot an Essen und Trinken vorhanden sein. Selbstverständlich würde dies von einem Teil der Kunden bestimmt geschätzt, ein solches Angebot müsste sich wirtschaftlich auch zumindest teilweise rechnen.

Aerni: Den Durst und den Hunger von Fahrgästen im stillstehenden Schnellzug auf offener Strecke zu stillen, müsste sich wirtschaftlich rechnen?

Generell erreichen die Minibars eine schlechte Wirtschaftlichkeit. Der Grund dafür bildet vor allem das immer steigende Angebot an Verkaufsständen in den Bahnhöfen, mit welchen sich die Kunden bereits vor der Reise eindecken.

Aerni: Die Minibars erreichen u. a. auch eine schlechte Wirtschaftlichkeit durch komplizierte interne Strukturen, überforderte Logistik, sich nie änderndes Sortiment und oft wegen unmotiviertes Personal, das manchmal mit der Minibar durch die Gänge rast, mit der Angst, von Bestellwilligen angesprochen zu werden. Zudem besitzen kleine Bahnhöfe nur noch Automaten oder kleine Kioske und auf den großen ist der Weg zwischen den Bahnsteigen ziemlich lange, was beim Umsteigen ein Einkauf des öfteren unmöglich macht.

Mit den Angaben im Fahrplan, ob ein Verpflegungsangebot vorhanden ist oder nicht, können sich die Reisenden auch entsprechend einrichten.

Aerni: In der Tat, in der Ahnung, dass der Zug möglicherweise wegen einer Panne lange in der Pampa stehen bleibt. Oder meinen Sie, dass wir wie zu Kriegszeiten uns vor der Fahrt kulinarisch eindecken sollten mit dem Motto: „Es kann ja alles passieren“?

Bei dem von Ihnen erwähnten IR 2417 nach Locarno ist das Minibarangebot nachfrageabhängig vorgesehen. So wird vom 1. April bis 30. Okt. jeweils freitags bis sonntags eine Minibar angeboten.

Aerni: Eine wertvolle Information, wenn man außerhalb diesen Zeiten Zug fährt oder eben damit stehen bleibt.

Wir hoffen auf Ihr Verständnis für unsere Ausführungen und danken Ihnen für die Gelegenheit unserer Stellungnahme.

Aerni: Sie dürfen weiter hoffen.

Freundliche Grüsse
Heinz Baumann
Kundendienst Region Zürich
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SBB AG
Division Personenverkehr, Kundendienst
Postfach, 3000 Bern 65, Schweiz
Telefon +41 51 222 33 22
kundendienst@sbb.ch, www.sbb.ch
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Hitler lesen?

Die kommentierte Neuausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ sorgt für Umsatzzahlen im Buchhandel und die Frage, ob man das Buch lesen soll.

Wie kann man gegensteuern wenn die Sichtweise des Andern unbekannt ist? Deshalb ist eine Einschätzung über die Hintergründe der Hitler-Katastrophe nur möglich, wenn das Weltbild und deren Einseitigkeit dieses Mannes erkannt wird. Aber wir haben ein anderes Problem. Das Tempo und die Bildlastigkeit der aktuellen Gesellschaft fördert nicht die Geduld des differenzierten Lesens und Nachfragens um sich ein eigenes Bild machen zu wollen. Sofort und überall werden Meinungen und Kommentare gepostet, quasi aus der Hüfte geschossen. Der sachorientierte Austausch, die Absicht, das Ganze richtig verstehen zu wollen geht im Lärm der Besserwisser und Instant-Welterklärter unter. Könnte es sein, dass der bunte Peoplezirkus und die Lust an Skandalhäppchen dazu führen, dass wir wieder in die Zeiten zurückkatapultiert werden, in denen man sich nach Aufklärung sehnte?

Weitere Informationen beim Institut für Zeitgeschichte in Berlin und München, Herausgeberschaft

Krupps Katastrophe

„Krupps Katastrophe“ heißt der Roman von Ulrich Land, eine Art Kontrafaktur oder so. Der Roman verbindet interessante Fakten mit offenen Fragen zu einer historischen Anekdote. Fragen an den Schriftsteller und Hörspielautor, der aus Köln stammt und heute in Freiburg i. Breisgau lebt.

Urs Heinz Aerni: Ihr Kriminalroman dreht sich um Friedrich Alfred Krupp, dem Industriellen und Politker aus Essen, geboren 1854, gestorben 1902. Wie kamen Sie auf ihn?

Ulrich Land: Ich bin über einen ZEIT-Artikel gestolpert, der sich dem Bismarck-Zeichner Allers widmete, weil dieser als Sündenbock und Bauernopfer für den Krupp-Skandal herhalten musste.

Aerni: Der Stoff fußt zwar auf historischem Material aber Sie schmücken gerne aus…

Land: Ich schreibe historische Ereignisse für mein Leben gern fiktional weiter. Kontrafaktur, habe ich mir sagen lassen, nennt sich diese Masche. Also dann meinetwegen: Kontrafaktur! Zumal wenn ein historischer Background so viel Ungereimtheiten enthält wie der des Aufstiegs und Falls von Friedrich Alfred Krupp. Der musste einfach mal dichterisch besungen werden.

Aerni: Und, machte es Spaß?

Land: Was mich besonders an dieser Art zu schreiben reizt, ist das Verwirr-Spiel mit Fakten und Fiktion, das, wenn es gut läuft, so weit geht, dass man als Leser irgendwann nicht mehr weiß, was hier Dichtung und was Wahrheit ist, und dass man es am Ende vielleicht gar nicht mehr wissen will. »Anwalt« für dieses literarische Verfahren ist hier im Krupp-Roman der Enkel, dem Fahrenhorst die ganze Story – angeblich, versteht sich-  zutrug; im Manuskript stets eingerückt und in einer anderen Schrift gesetzt.

Aerni: Während viele andere Autorinnen und Autoren mit sich immer wiederkehrenden Ermittler-Team arbeiten, entschieden Sie sich dagegen und schicken das Geschehen in Gegenden wie Norwegen, Eifel, Island, Nordatlantik, Capri oder Ruhrgebiet. Wieso?

Land: Einer der Gründe ist, dass ich mir gern Figuren und Typen ausdenke, und es kommt mir irgendwie langweilig vor, immer denselben Gimpeln bei der Arbeit über die Schulter zu schauen. Außerdem kann das natürlich bei dem oben beschriebenen Verfahren nicht funktionieren, da es ja um jeweils einen anderen historischen Fall und damit um ein dezidiertes Umfeld mit ganz bestimmten Figuren geht, die ich zumeist möglichst nah an der real existierenden historischen Situation, um die es geht, anzudocken versuche. Es wird mir also auch fürderhin diesen Rechercheaufwand und die Annäherung an jeweils neue Helden kaum erspart bleiben.

Aerni: Woher kommt Ihr Faible für diese Ironie und das Morbide in Ihren Geschichten?

Land: Ich glaube, dass es zwei ganz wesentliche Triebfedern, womöglich nur diese, für das menschliche Tun und Lassen gibt: Sex und Tod. Also alles, was mit Liebe, Arbeit, Eros und Reichtum im materiellen wie ideellen Sinne zu tun hat, einerseits.

Aerni: Und anderererseits?

Land:  Andererseits alles, was mit dem destruktiven Gegenteil zu tun hat. Freud, ick hör dir trapsen. Jau, ich weiß. Aber macht ja nichts. Wo er eben Recht hat, hat er eben Recht. Aus genau dieser Spannung jedenfalls schlagen die Funken in meine Feder – um’s mit poetisch-pathetischen Girlanden zu behängen.

Aerni: Sie sind Dozent für Creative Writing-Kurse, haben Sie selber mal an so einem Kurs die Schulbank gedrückt?

Land: Nein, nie. Ich hab mal in einem Crash-Kurs das Radiomachen gelernt bzw. in dreien. Aber da ging’s nicht um das literarische Schreiben. Nein nein, alles, was ich in diesen Uni-Seminaren anbiete, hab ich mir selber aus den Fingern gesogen. Sowohl inhaltlich als auch didaktisch.

Aerni: Mit anderen Worten, keine Regeln und keine Gesetze für Schreibwillige?

Land: Bis heute weiß ich nicht wirklich, wie’s letztlich funktioniert, das kreative Schreiben, und was es im Innersten zusammenhält. Wenn ich’s wüsste, würde ich vermutlich keine Seminare mehr dazu abhalten.

Aerni: Wie hat es Sie denn erwischt, die eigene Schreiblust?

Land: Wie die allermeisten anderen wahrscheinlich auch: durch die Liebe. Durch ganz viel Selbstliebe respektive durch die Eitelkeit, was ganz anderes machen zu wollen als alle anderen. Durch Liebe zu meinem Großvater, den ich nie gekannt habe, weil er lange vor meiner Geburt gestorben ist, der aber als Enfant terrible in der Familie galt und mit dem ich mich über Jahre literarisch befasst habe, obwohl von all diesen Texten nicht eine einzige Zeile je veröffentlicht wurde. Liegt alles noch in irgendwelchen Pappschachteln. Durch Liebe zu meiner damals Festen, der ich meine allererste Story gewidmet habe. Sowohl diese Liebe als auch die Geschichte sind allerdings verschollen. Irgendwie schad‘ drum.

Ein Interview führte Urs Heinz Aerni mit Ulrich Land auch für Radio Freirad Innsbruck, das hier gehört werden kann.

Der Autor: Ulrich Land wurde 1956 in Köln geboren. Dort studierte er Germanistik, Geographie und Philosophie. Seit 1987 arbeitet er als freier Autor und schreibt Erzählungen, Reportagen, Essays, Kriminalromane, Theaterstücke und Lyrik. Mehr Informationen finden Sie per Anklick hier…

Das Buch: Ulrich Land: „Krupps Katastrophe“, Capri/Ruhrgebiets-Kriminalroman, Oktober Verlag, 284 Seiten

Wieso nicht Bremen?

Der Schweizer Kabarettist, Literat und Schauspieler Jens Nielsen mit dänischen Wurzeln pendelt zwischen Berlin und Zürich. Wir stellen ihm Fragen.

Urs Heinz Aerni: Sie lebten in Berlin um zu Schreiben … wieso nicht … zum Beispiel Bremen?

Jens Nielsen: Ich habe Angst vor Bremen. In Berlin kann ich gut arbeiten. Ich habe immer wieder viel Zeit in dieser Stadt verbracht, und nicht wenige meiner Texte sind dort entstanden oder fertig geworden. Abgesehen davon ist es auch die Großstadt an sich, die man als Schweizer Künstler regelmäßig bewohnen sollte. Wir haben keine eigene. Wenn Bellinzona fünf Millionen Einwohner hätte, würde ich ab und zu auch dorthin. Abgesehen davon, ein bis an den Rand zugebautes Tessin wäre städtebaulich zwar interessant, aber ökologisch eine Höllentat. Daher bin ich froh, dass wir keine Großstadt haben. Vielleicht werde ich aber trotzdem einmal nach Bremen fahren. Wer weiß, vielleicht für ein Antipanik-Seminar.

Aerni: Wo sehen Sie den Unterschied zwischen dem Schweizer und dem Deutschen Publikum?

Nielsen: Das deutsche Publikum ist größer. Und vor Jahren sagte mir eine Deutsche Agentin voraus, meine Programme würden vor allem dem Publikum nördlich des Weißwurst-Gürtels gefallen. Das leuchtete mir insofern ein, als ich humoristisch tatsächlich über der Gürtellinie arbeite. Inzwischen weiß ich aber, der wichtige und inspirierende Unterschied besteht zwischen einem Publikum von heute Abend und dem von gestern oder morgen. Wo ich spiele, unterliegt vor allem diesem universalen Unterschied. Immerhin, je nördlicher ein Auftritt, umso mehr kann ich von meiner Bahncard 50 profitieren.

Aerni: Das Schweizer Boulevard-Blatt BLICK bemerkte, dass Sie stets ein begeistertes Publikum hinterlassen. Machen Kritiken Presse nervös?

Nielsen: Meine Zustimmungsrate während einer Vorstellung liegt in der Tat bei 90 Prozent. Nehmen wir noch an, ich übertreibe unbewusst mit 10 Prozent zu meinen Gunsten. Das bringt mich zu einer 80/20 Rate. Diese Zahl ist möglicherweise genau, sagt aber nichts aus über die Anzahl Zuschauer. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass diese je auf kommerzielle Dimension anwachsen wird. Von der Kritik indessen erhoffe ich zu viel, wie wahrscheinlich viele Künstler. Ich lese eine Rezension deshalb mit aufgesetzter Nonchalance. Die bricht aber zusammen. Ist die Kritik schlecht, verdräng ich sie, oder esse die Zeitung auf, in der sie abgedruckt ist. Online geht das leider nicht mehr gut, notfalls aber schon.

Aerni: Und wenn die…

Nielsen: …ist die Kritik euphorisch, finde ich sie angemessen. Dann ruf ich jemand an und erwähne den Artikel nebenbei. Oft glaube ich aber auch, die schlechte Rezension wäre die Wahrheit. Und die gute eine Illusion oder ein Zufall. Ich erwarte nicht, dass sich der Widerspruch je auflöst.

 

Weitere Infos zu seinem letzten Buch:

Besuchen Sie die Website von Jens Nielsen…